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Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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wollen.
    Martine sah auf die Uhr. Halb eins.
    – Wie wär’s mit einem frühen Lunch? fragte Julie.
    – Oder eine Tasse Kaffee, das reicht wohl für mich, sagte Martine. Der Wachmann gab ihr den Umschlag mit dem Obduktionsbericht, und sie überquerten die schmale Rue des Chanoines zu Tony Deblauwes Restaurant an der Straßenecke.
    Alice Verhoeven saß an einem der Tische direkt am Fenster zur Straße, versunken in ein dickes Fachbuch auf deutsch, mit einem Perrier und einem Krabbensandwich vor sich. Martine und Julie ließen sich ihr gegenüber nieder, und Martine wedelte mit dem Bericht.
    – Faß es zusammen, sei so gut, sagte sie.
    Alice schlug das Buch zu und zog die Hand durch die zerzausten, graumelierten Haare.
    – Jaja, sagte sie, euer junger Mann starb an mehreren kräftigen Schlägen auf seinen Nacken, mit einem schweren Gegenstand. Ich würde auf einen Typ von Werkzeug tippen, etwas Schmales, Schweres, ziemlich glatt an der Oberfläche, einen großen Schraubenschlüssel. Einer der Schläge traf sehr unglücklich oder vielleicht, vom Standpunkt des Mörders aus, glücklich, durch ihn ging die kleine Spitze am obersten Wirbel der Wirbelsäule ab und drang ins Atemzentrum ein, so daß das Opfer aufhörte zu atmen. Daran ist er gestorben. Aber er hat auch mehrere kräftige Schläge an den Hinterkopf bekommen, die meisten, nachdem das Herz aufgehört hatte zu schlagen, zur Sicherheit, darf man annehmen.
    – Kannst du etwas darüber sagen, in welcher Haltung ihn die Schläge trafen, ob er stand, lag oder saß?
    Alice sah nachdenklich aus.
    – Es gibt keine Anzeichen dafür, daß er versucht hätte, sich zu wehren, sagte sie, er ist vermutlich überrumpelt worden. Aber der Junge war groß, 183 Zentimeter, und es ist nur schwer vorstellbar, wie jemand unbemerkt so einen Schraubenschlüssel, einen Engländer, oder was es nun war, herausholen und ihn mit einem nach oben gerichteten Schlag überrumpeln könnte, ohne daß er reagieren würde. Was ich mir vorstellen kann, ist, daß er mit dem Mörderzusammengesessen hat, sich vielleicht vorgebeugt hat, um etwas aufzuheben, und einen unerwarteten Schlag in den Nacken bekommen hat. Ja, und es gibt eine kleinere Verletzung im Gesicht, als wäre er vornüber gefallen und mit dem Kopf irgendwo aufgeschlagen, als er den Schlag in den Nacken bekam.
    Julie erschauerte. Es war ein unangenehmes Bild, das Alice Verhoeven heraufbeschwor. Martine mußte plötzlich an Fabien Lenormands verschwundene Tasche denken. Wollte er etwas herausnehmen, etwas, das den Mörder in Panik versetzte?
    – Wann ist er gestorben? fragte sie.
    Alice seufzte.
    – Du weißt, wie schwer es ist, in diesem Punkt ganz sicherzugehen, sagte sie. Aber definitiv vor Mitternacht an dem Tag, als er gefunden wurde, vermutlich früher. Wenn du mich nicht zitierst, würde ich sagen, gegen sieben. Die Leichenflecken waren gut entwickelt, und es gab sie nur in einem Bereich, also ist der Körper nicht bewegt worden. Er hat die ganze Zeit auf dem Rücken gelegen, aber mit hochgerecktem linkem Arm. Er ist vielleicht an etwas hängengeblieben.
    – Hat er die ganze Zeit in dem Prahm gelegen? fragte Martine.
    – Ja, sagte Alice, der Körper war stark ausgekühlt, auf eine Weise, die darauf schließen läßt, daß er in einem offenen Laderaum in einem Wasserfahrzeug, das nachts auf dem Wasser fuhr, gelagert worden war. Und der Körper hat ganz oben in der Ladung gelegen, ich meine, er war nicht unter mehreren Tonnen Eisenerz begraben.
    – Und der Mageninhalt, wann hatte er zuletzt gegessen?
    Alice nahm Martine den Bericht ab und blätterte zu einer Seite, die sie schnell durchlas.
    – Die letzte Nahrung, die er zu sich genommen hat, waren ein Kaffee und ein Käsebrot, sagte sie, und das geschah weniger als zwei Stunden bevor er starb. Keine größere Mahlzeit also. Das kann ja möglicherweise darauf hindeuten, daß er getötet wurde, bevor er zu Abend essen konnte, aber das ist nur eine Vermutung. Der Junge war ja jung, vielleicht hat er aufs Abendessen verzichtet. Meine jungen Leute machen das oft.
    Hatte Nathalie Bonnaire etwas darüber gesagt, wann Fabien am Dienstag abend zu Hause erwartet wurde? Martine erinnerte sich nicht daran. Sie fragte Julie, die sich auch nicht erinnerte, und nahm sich vor, da noch einmal nachzuhaken.
    – Hat er stark geblutet? fragte Martine.
    – Keine Ströme von Blut, sagte Alice, aber es ist etwas Blut aus der Nase gekommen, und es spritzte etwas von der Rückseite des Kopfes.

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