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Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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sich erschwindelt haben.
    – Dann nehme ich die falsche Liste mit, sagte sie und streckte die Hand nach dem Papier aus.
    Jean-Claude sah erschrocken aus.
    – Nein, das darfst du absolut nicht, deswegen solltest du doch herkommen und es mit eigenen Augen sehen. Ich habe das hier heute morgen in einem Umschlag mit der Hauspost bekommen, zusammen mit einem anderen Papier, das ich kriegen sollte. Entweder war es ein Irrtum, oder jemand meinte, daß ich es sehen sollte, ich tendiere zu letzterem. Aber ich muß es zurückgeben, bevor es jemand vermißt, sie benutzen die Anwesenheitslisten, um Geld zu beantragen.
    Er nahm einen Block mit gelben Post-it-Zetteln und kritzelte ein paar Zeilen darauf: »Liebe Caroline, bekam das hier irrtümlich mit dem Memo über den Weihnachtsaufenthalt, J-C B«, befestigte den Zettel auf der Anwesenheitsliste und steckte sie in einen braunen Hauspostumschlag.
    – Kannst du nicht eine Kopie machen, sagte Martine, es ist besser, wenn ich ein Papier habe, das ich dem Staatsanwalt geben kann.
    Er sah sich um.
    – Siehst du hier ein Kopiergerät? Nein, denn es gibt keines. Und das Büro ist jetzt abgeschlossen.
    – Aber in der Direktionsetage? Wir haben ja gesehen, daß da Licht brennt, du hast gesagt, daß die Putzkolonne hier ist.
    Jean-Claude schnitt eine Grimasse.
    – Ja, sicher, und die wissen, wer ich bin, ich glaube nicht, daß das so gelungen wäre.
    Aber er öffnete trotzdem die Tür und guckte vorsichtig in das schwach beleuchtete Treppenhaus, in dem die Schatten schwarz in den Winkeln lagen. Martine hörte, wie die schwere Eingangstür geöffnet wurde, und eine Stimme, dieetwas zu Jean-Claude sagte. Er trat ins Treppenhaus und machte eine warnende Geste zu Martine hin, während er gleichzeitig die Tür zuschob. Aber er ließ einen Spalt von ein paar Millimetern offen, genug, damit Martine hörte, was gesagt wurde, wenn sie sich vorsichtig an die Wand bei der Tür drückte.
    – Oh, du bist’s, sagte Jean-Claude, du arbeitest spät heute?
    Die Worte hallten zwischen den Wänden im Treppenhaus wider.
    – Ebenso, sagte eine zweite Männerstimme, die Gewerkschaft ruht nie, sehe ich.
    Martine erkannte die Stimme und die rollenden südfranzösischen Rs wieder. Es war Louis Victor, der da stand.
    – Nein, sagte Jean-Claude lässig, die Kollegen von der Nachtschicht im Stahlwerk hatten ein paar Dinge, über die sie reden wollten, und dann fiel mir ein, daß ich hier ein Buch vergessen habe.
    – Und ich hatte im Büro das Mobiltelefon vergessen. Grüß Chantal!
    Sie hörte, daß Louis Victor schon auf dem Weg die Treppe hinauf war, als er die letzten Worte sagte. Jean-Claude kam herein und zog wieder die Tür hinter sich zu. Er runzelte die Stirn.
    – Jetzt war ich dumm, sagte er, man soll sich nie erklären, damit zeigt man nur, daß man etwas zu verbergen hat. Ich bin wohl nicht zum Spion geboren, ich habe kein Talent für solche Konspirationen.
    – Aber er hat sich auch erklärt, sagte Martine, völlig überflüssigerweise, er ist ja hier der Chef. Warum hat er dich gebeten, Chantal zu grüßen, kennt er sie?
    Jean-Claude grinste.
    – Ja, er ist eine der dreiundvierzig Personen, die ihre Platte gekauft haben, er war völlig hingerissen, als er hörte, daß ich mit ihr verheiratet bin, und hat uns zum Essen ins Aux Armes de Verney eingeladen. Das hat viel bedeutet für die gewerkschaftlichen Beziehungen.
    Chantal Lemoine, die Jean-Claude kennengelernt hatte, als sie in einem obskuren Klub in Liège sang, war in Villette geboren, hatte aber einen großen Teil ihrer Kindheit in Nordafrika gelebt, wo ihre Hippieeltern sich Ende der sechziger Jahre niedergelassen hatten. Ihre Musik war eine Art moderner Folkjazz, stark beeinflußt von tunesischem Malouf und algerischem Raï. Sie hatte eine Schallplatte eingespielt und trat fleißig bei Musikfestivals auf, verdiente ihr Geld aber als kommunale Jugendpflegerin.
    – Die Platte war also kein Verkaufserfolg, sagte Martine und versuchte, nicht schadenfroh zu klingen.
    – Nicht direkt, sagte Jean-Claude und grinste wieder, es muß an den Dudelsäcken liegen, die stoßen die Leute ab. Aber Lou Victor gefällt sie, wie gesagt, ich weiß nicht, wie ich das interpretieren soll. Sie erinnert ihn vielleicht an die Wüste, es heißt, daß er in der Fremdenlegion war.
    – Wie ist er, fragte Martine neugierig, als Mensch, meine ich.
    – Meinem Freund, dem Gewerkschaftsgruppenvorsitzenden bei Vélo Éclair, zufolge ist er »wie Attila, aber ohne

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