Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
pfeifend.
– Scheußlich, sagte Julie, hat unser Besuch bei Berger Rebar gestern jemanden beunruhigt?
– Mm, sagte Martine, und jetzt werde ich Monsieur Berger selbst anrufen, ich dachte, wir machen einen Besuch in der Höhle des Löwen. Was hast du da für Mappen gefunden?
– Eine Goldgrube, sagte Julie zufrieden, alles, was du über Stéphane Berger wissen willst, und noch etwas mehr. Ich glaube, du solltest dir das hier ansehen, bevor wir ihn treffen.
Schon als sie sich am Mittwoch abend von Nathalie Bonnaire getrennt hatten, hatte Martine Julie gebeten, alle Informationen, die sie über Bergers Vergangenheit finden konnte, herauszusuchen. Im Laufe des Donnerstags erinnerte sich Julie, daß sie jemanden kannte, der die Arbeit vielleicht schon für sie getan hatte. Sie schlug die Nummer eines Frisiersalons in Brüssel auf. Ihre Mutter hob ab.
– Hallo, Mama, sagte Julie, ich rufe an, um zu fragen, ob Monique immer noch Ausschnitte über Stéphane Berger sammelt?
– Naja, sagte Josette Wastia, ich glaube, sie hat aufgehört, sie war ein bißchen enttäuscht von Berger, als er diese Fahrradfabrik zugemacht hat. Oder, Monique, du hast Stéphane Berger satt bekommen?
Julie hörte eine muntere Stimme, die antwortete, zu weit vom Hörer entfernt, als daß sie mehr als den Tonfall hätte erfassen können.
– Kannst du sie fragen, ob ich mir die Mappen leihen darf, sagte sie, wenn sie sie noch hat, natürlich?
Josette Wastia und Monique Goosens besaßen einen erfolgreichenDamenfrisiersalon an einer Querstraße zur Chaussée d’Ixelles in der Nähe der Place Louise. Sie waren seit fast fünfundzwanzig Jahren Kompagnons. Als Julie als Vierjährige eine Zeitlang bei ihrer Mutter in Brüssel gelebt hatte, hatte sie viele Stunden im Frisiersalon verbracht, und da hatte sie gefunden, daß die blonde und füllige Monique viel netter war als ihre flinke, windhundschmale Mutter.
– Doch, sie hat die Mappen noch, sagte Josette in den Hörer, und du kannst sie dir gern leihen. Ich kann sie dir mitbringen, ich hatte versprochen, heute abend nach Villette zu kommen und Mutter zu besuchen.
Also fuhr Julie am Donnerstag abend hinaus zum Hof der Großeltern ein paar Kilometer außerhalb von Villette, wo sie aufgewachsen war. Die Besuche von Tochter Josette bei Schrott-Bernard Wastia und seiner Frau Marie waren selten, und mit ihren beiden älteren Brüdern hatte sie fast gar keinen Kontakt. Als Julie dorthin kam, stand sie auf dem Hof und rauchte, elegant wie gewöhnlich, mit hohen Absätzen, im bleistiftschmalen schwarzen Rock und grauem Kaschmirpulli mit V-Ausschnitt. Ihre Haare waren rotbraun getönt und in einen Zwanziger-Jahre-Bob geschnitten, die Locken gezähmt von einer unerbittlichen Dauerwelle. Vor dem Hintergrund rostiger Maschinen und Schrottautos auf dem Hof sah sie aus wie eine teure, exotische Blume, eine Orchidee vielleicht, auf einer Müllhalde.
– Warum läßt du mich nicht etwas mit deinen Haaren machen, sagte sie wie immer, wenn sie Julie traf, du siehst ja aus wie Esmeralda im »Glöckner von Notre Dame«.
– Aber ich will sie so haben, sagte Julie wie immer, wenn sie ihre Mutter traf. Hast du an die Mappen gedacht?
– Klar, sagte Josette, die liegen im Wohnzimmer. Wie geht es dir mit diesem Dominic?
– Gut, sagte Julie, die keine Lust hatte, etwas zu erzählen.
– Ist er nicht ein bißchen zu alt für dich, sagte Josette kritisch.
– Ich suche vielleicht eine Vaterfigur, sagte Julie giftig, weil ich nie erfahren habe, wer mein Vater war.
– Ach was, sagte Josette, hörst du nie auf, deswegen zu nerven? Ich habe tausendmal gesagt, ich habe meine Gründe dafür, es nicht zu erzählen.
Mit anderen Worten, alles war genauso wie immer, wenn Julie und ihre Mutter sich trafen, und der einzige Gewinn des Abends waren Moniques Mappen gewesen, deren genauer Lektüre sie die halbe Nacht gewidmet hatte, um nicht über die Fragen nachzugrübeln, die zu beantworten sich Josette so beharrlich weigerte, aber deretwegen zu nerven Julie niemals, niemals aufhören würde.
Monique Goosens hatte angefangen, für Stéphane Berger zu schwärmen, als er der Star in »Die Bullen von Saint-Tropez« gewesen war. Die Serie wurde zuerst 1966 gezeigt, und die ersten Ausschnitte in ihrer Mappe waren vom Ende der sechziger Jahre. Als Friseurin hatte Monique reichlich Zugang zu Damenzeitungen und zur Klatschpresse gehabt, und manchmal hatte sie ihre Sammlung mit Artikeln aus der Tagespresse und aus
Weitere Kostenlose Bücher