Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
höchstlich verwundert aus, »Ihr seid auch ein Arzt?«
»Auch!« sprach ich, denn plötzlich überkam mich eine bestimmte Ahnung, »kennst du noch einen anderen?«
Worauf Aymotin, in dessen Gesicht eine leichte Röte gestiegen war, die schwarzen Locken schüttelte und ausweichend antwortete:
»Ich kenne mehrere. Zu Paris, Monsieur, gibt es nicht weniger als zweiundsechzig Ärzte, und Ihr könnt sie morgens und abends in den Straßen sehen, wenn sie, den viereckigen Doktorhut auf dem Kopf, auf ihren Mauleseln dahinreiten, ihre Patienten zu besuchen.«
Darauf drehte er sich um, trat zum Geländer und wies mit einer weit ausholenden, anmutigen Handbewegung auf die Hauptstadt, als wolle er sie mir zum Geschenk machen:
»Sehet, Monsieur, die schönste Stadt der Welt.«
Und mit dem Zeigefinger seines ausgestreckten Armes zeigte er mir auf der Insel, auf welcher wir uns befanden, das Palais und die Heilige Kapelle, dann auf dem rechten Seine-Ufer die Kornhalle, den Trödelmarkt, die Tuchhalle und, direkt am Wasser gelegen, den großartigen Louvre-Palast, welcherin seinem majestätischen Weiß fast drohend wirkte, und gleich dahinter den Holzturm, welcher, weidlich hoch und direkt auf der Stadtmauer errichtet, die Grenze der Stadt an jener Stelle andeutete; des weiteren auf dem linken Flußufer ich weiß nicht wie viele wunderschöne Kirchen, deren Namen ich hier auslasse, sodann jenseits der Stadtmauer die Abtei Saint-Germaindes-Prés, deren drei Türme mir an jenem denkwürdigen Morgen ganz wunderbar erschienen, sowie innerhalb der Umfassungsmauer an deren westlichstem Punkt den Nesle-Turm, ganz zu schweigen von der Vielzahl von Türmchen, Zinnen und Giebeln, die sich zur Linken und zur Rechten im Häusermeer der Stadt in jeder großen Straße stolz erhoben und von dem unerhörten Reichtum der Adelsherren, Kaufleute und Bürger des Richterstandes zeugten, die dort ihren Wohnsitz hatten. Indes Aymotin in seiner Rede fortfuhr, erheiterte es mich gar sehr, auf dem Kirchenplatz von Notre-Dame die Leute winzig wie Fliegen zu sehen sowie meine beiden Pferde, welche ich an dem fuchsroten Fell Pompeas erkannte, klein wie Mäuse.
»Paris, wie Ihr es vor Euch seht«, so sprach Aymotin, »wird durch den Seine-Fluß, welcher in seiner Mitte fließt, in drei Städte geteilt. Der Teil zu meiner Rechten, der bei weitem der größte ist, wird die Stadt geheißen. Dort wohnt auch der König in seinem Louvre. Manche nennen sie jedoch auch das Saint-Denis-Viertel. Sodann kommt der Teil, auf welchem wir uns befinden und der eine Insel ist, welche – wie Ihr wißt – Ile de la Cité geheißen.«
»Und der linke Teil?«
»Dieser wird Universitätsstadt geheißen, weil die Scholaren dort studieren, die Stadtwache verprügeln, ihre Possen mit den Mönchen von Saint-Germain treiben, den Bürgern Hörner aufsetzen und tausend andere Übeltaten treiben, die ich nicht zu beschreiben vermag.«
Doch Aymotin sprach dies nicht mißbilligend, wie man es von einem Mann seines Standes erwartet hätte, sondern mit glänzenden Augen und einem verzückten Lächeln.
»Einige nennen die Universitätsstadt auch das Hulepoix-Viertel, so wie die Stadt Saint-Denis-Viertel geheißen wird.«
»Hulepoix!« sprach ich, »welch seltsamer Name! Hulepoix! Doch er gefällt mir nicht übel! Und wie heißen die beiden hübschengrünen Inselchen, die vor der Cité eine neben der anderen gelegen sind?«
»Die rechte wird Patriarchen-Insel genannt, und die linke ist die Rinderfährmann-Insel. Der König, dessen Eigentum sie sind, hatte die Absicht, sie miteinander zu verbinden und beide zusammen mit der Ile de la Cité, auf daß er sie an Baumeister verkaufen könne. Doch aus Mangel an Geld wurde nichts aus diesem Vorhaben. Hinter Euch, Monsieur, sind noch drei Inseln gelegen, welche Ihr jedoch nicht sehen könnt, da Notre-Dame sie verdeckt, und die der König auf gleiche Weise miteinander verbinden wollte, nämlich die Notre-Dame-Insel, die Rinder-Insel und die Louvier-Insel, doch auch dieser schöne Plan fiel in das schmutzige Wasser der Seine.«
»Gibt es Rinder auf der Rinder-Insel?«
»Gewiß, und sie hüten sich allein, so daß man keinen Kuhhirten braucht und beträchtliche Kosten spart.«
»Oh«, sprach ich, nicht wissend, wohin und worauf ich den Blick richten sollte, so viele Wunder sah ich vor mir, »welch eine Menge Menschen gibt es in dieser riesigen Stadt!«
»Dreihunderttausend.«
»Und wie viele Straßen!«
»Vierhundertdreizehn.«
»Wie!
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