Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Gefolge.
Ich verließ die beiden, um Alizon in ihrer Kammer aufzusuchen, denn sie arbeitete an diesem Tage nicht bei Meister Recroche, da der König verfügt hatte, daß am Vortage der Hochzeit der Prinzessin nicht gearbeitet werde, damit alle Bürger und Mitwohner seiner lieben Stadt Paris die Straßen und Gassen schmücken und sich zum Fest rüsten könnten.
Das winzige, aber hübsche Kämmerlein Alizons war in der Rue Tirechappe unmittelbar unter dem Dach gelegen, wo es in jenem schwülen August besonders heiß war. Durch eine kleine, weit geöffnete Dachluke drang ein kühlender Luftzug herein, und vor selbiger Luke saß meine kleine Teufelswespe höchst anmutig auf einem niedrigen Stuhl und schwang behend die Nadel.
Ich trat ein, ohne zu klopfen, denn die Tür stand offen, um den Luftzug vom Fenster zu verstärken.
»Wie das, Alizon?« sprach ich, den Kopf einziehend, um nicht an die steile Dachschräge anzustoßen, »du nähst an einem Feiertag!«
»Ei, Monsieur«, sprach sie, ohne sich zu erheben, ganz beschäftigt, doch fröhlich, »ich muß, denn dieser neue Rock soll fertig werden, damit ich ihn morgen zur Hochzeit der Prinzessin Margot tragen kann. Der König hat nämlich alle Bürger und Mitwohner von Paris aufgefordert, sich zu Ehren seiner Schwester in ihren besten Kleidern zu zeigen!«
»Was!« sprach ich, etwas verdrossen, daß sie, mit ihrer Näharbeit beschäftigt, mir keinen Kuß geben wollte, »du willst dir diese Hochzeit ansehen, die du so schandbar nennst!«
»Das ist sie auch, Herr«, erwiderte sie, ohne einen einzigen Augenblick innezuhalten, die Zunge so flink wie ihre Nadel,»und ganz wider die Natur. Es ist in der Tat, als wolle man Wasser und Feuer verbinden: das reine Wasser des Paradieses und das Feuer der Hölle.«
»Und warum willst du dann dabeisein?« fragte ich, mich darüber belustigend, daß sie die Prinzessin Margot mit dem reinen Wasser des Paradieses verglich, da doch ein jeder im Königreich von ihren Buhlereien mit dem Guise wußte.
»Heilige Jungfrau!« rief Alizon, »soll ich mich allein in meiner Kammer langweilen, wenn alle Welt dabei ist? Hochzeit ist Hochzeit! Soll ich das schönste Fest versäumen, nur weil der Bräutigam ein räudiger Ketzer ist? Doch, es ist zum Verzweifeln! Die Dunkelheit kommt schon, und ich habe keine Kerze mehr. Ich hätte die Arbeit gern noch vor dem Schlafengehen beendet, obgleich ich ganz ermüdet bin.«
»Und wo ist der kleine Henriot?« fragte ich, denn die Wiege neben ihrem Bett war leer.
»Bei einer Nachbarin. Er ist viel zu wild, als daß ich ihn hierbehalten könnte, wenn ich mit einer Näharbeit beschäftigt bin.«
»Ich will ihn mir ansehen gehen«, sprach ich und wandte mich zum Gehen, recht verdrossen darüber, daß ich sie wegen des vermaledeiten Rocks nicht in die Arme nehmen konnte, wozu es mich nach den drei Tagen in Montfort gar sehr gelüstete.
Kaum auf dem Flur, hörte ich den kleinen Henriot schon lachen, so daß ich die rechte Tür nicht lange zu suchen brauchte, an die ich auch nicht anklopfen mußte, denn sie stand offen wie alle anderen, so sehr verlangte es all diese wackeren Leute nach frischer Luft.
Und was für ein hübscher, possierlicher Knabe war der kleine Henriot, so rundlich und rosig! Indes ich ihn betrachtete, dachte ich bei mir, welch Wunder es doch sei, daß es zu Paris trotz der verderbten Luft ebenso schöne Kinder gab wie auf Mespech. Doch zu ihrem Gedeihen brauchen sie neben der Milch auch Liebe, ich meine wirkliche, tiefe Liebe, die ihnen eine nicht weniger wichtige Nahrung ist als die leibliche und an der es hier weder die Mutter noch die Nachbarin fehlen ließen, welch letztere, ihn in den Armen haltend, mit ihm scherzte und sang, als wär’s ihr eigener Sohn. Ich war gerührt von diesem Anblick und von dem Kind und von dem freundlichen,schmucken Frauenzimmer, das den Kleinen herzte und dem ich meinen Namen nicht nennen mußte, denn sie kannte mich bereits und vertraute mir bereitwillig das Kind an, indes sie auf meine Bitte zwei Kerzen kaufen ging, wofür ich ihr einen Sol gab.
Mit dem kleinen Henriot auf dem Arm kehrte ich in Alizons Kämmerchen zurück, und selbiger litt es, ohne zu schreien und zu weinen, von einem fremden Mann getragen zu werden, denn er hatte nur Augen für meinen Wams und die darauf gereihten Perlen, welche er mit seinen kleinen Fingern zu greifen suchte.
»Ach, Monsieur«, sprach Alizon, zwei Seufzer ausstoßend (ohne indes im Nähen innezuhalten), den ersten
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