Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Standesperson erhaben dünken, insbesondere wenn selbige aus der Provinz kommt.
»Meister Recroche«, sprach ich mit verdüsterter Stirn, »würde es Euch belieben, mir nun die Haustür aufzusperren, damit ich meinen Geschäften und Verrichtungen nachgehen kann?«
»Ei nun«, erwiderte Recroche, »da müßt Ihr mir erst mein Wasser bezahlen.«
»Jetzt schon?« fragte ich. »Aber ich gedenke doch gar nicht, heute abzureisen.«
»Wißt Ihr das so genau?« Recroche blickte mich mit allergrößter Dreistigkeit an. »Der Mensch reist oft schneller ab, als es ihn gelüstet. Zudem brauche ich morgen ab Mittag meine beiden Kämmerleinchen.«
»Was?« rief ich. »Ihr habt sie mir doch bis zum Ende des Monats vermietet!«
»Ich habe mich eben eines anderen besonnen«, gab er kühl zur Antwort.
»Halunke!« schrie da Miroul, die Hellebarde ergreifend, »muß ich dir erst mit deinem Löffelstiel hier den Rücken polieren, damit du lernst, höflich mit meinem Herrn umzugehen?«
Worauf Meister Recroche sich ganz bleich und mit zitternden Händen erhob und recht kleinlaut sprach:
»Ich wollte Euch nicht beleidigen, Monsieur. Ich fordere nur, was mir gebührt.«
»Was dir gebührt!« schrie ich. »Habe ich dir nicht hundertundachtzig Dukaten für diese beiden winzigen Kammern gezahlt?«
»Der Preis gilt auch dann, wenn Ihr nicht bis zum Ende des Monats bleibt, Monsieur« erwiderte Recroche. »Erinnert Euch, wenn ich bitten darf, unserer Abmachung.«
»Gewiß, aber sie träfe nur zu, wenn wir aus eigenem Entschluß abreisten. Und das Gegenteil ist der Fall.«
»Monsieur«, sprach Recroche, welcher allmählich wieder Farbe bekam, da Miroul die Waffe gesenkt, »wollt Ihr wegen dreißig Sols, die Ihr mir schuldet, zum Richter laufen? Gibt es nicht schon der Widrigkeiten genug für einen Mann in Eurer Lage? Ihr habt den Gnadenbrief des Königs in der Tasche. Warum packt Ihr also nicht Eure Siebensachen, die Bibel nicht zu vergessen, und macht Euch aus dem Staube? Wenn Ihr noch länger hier verweilt, geriete ich in die größte Gefahr, mit Euch ausgeplündert und niedergemacht zu werden.«
›Ha‹, dachte ich, ihm ins Auge blickend, ›meinen Gnadenbrief, meine Bibel! Der Lump weiß, wer ich bin, und will mich noch um dreißig Sols schröpfen, ehe er mich auf die Straße wirft und mir die Tür vor der Nase zuschlägt.‹ Er fühlte sich gewißlich stark angesichts des unbändigen Hasses der großen Stadt Paris gegen uns, angesichts der Waffen, die zweifellos auch in allen anderen Häusern für unsere Kehlen geputzt wurden – sonst hätte er nicht gewagt, mich auf so unerträgliche Weise zu behandeln. Oh, Leser! wäre ich von blutgieriger Gemütsart, dann hätte ich diesen Schurken in meinem Zorne sogleich niedergestreckt, doch bei einem solchen Vater, wie ichihn auf Mespech hatte, und so herzensguten Leuten im Hause und in unseren Dörfern habe ich in meinen Kinderjahren zuviel von der Milch der Menschenliebe getrunken, um den Tod eines Menschen, so gemein er auch sei, zu wollen, solange ich mich nicht in einer unabwendbaren Gefahr befinde.
»Guter Mann«, sprach ich also ruhigen Tones, die dreißig Sols auf den Tisch werfend, »da ist dein Geld. Und nun sperr uns auf. Morgen werden wir fort sein.«
Der Mützenmacher griff das Geld mit kralligen Fingern und einer solchen Gier, daß ihm kaum ein Seufzer der Erleichterung entfuhr, als Miroul endlich die Hellebarde weglegte, worauf er sogleich von seinem Gürtel einen großen Schlüsselbund abnahm und die Haustüre aufsperren ging, in welchem Augenblick auch Giacomi, den ich nicht hatte wecken wollen, die Stiege herunterkam und mit uns hinausging, sich in den Louvre zu begeben.
Nachdem wir abgesprochen, uns zu Mittag in Gautiers Speisewirtschaft wiederzusehen, verließ ich – nach unseren üblichen Umarmungen – den Fechtmeister, weil ich Alizon in ihrer kleinen Kammer in der Rue Tirechappe aufsuchen wollte. Indes wir durch die Straßen schritten, fiel mir auf, daß kein Kaufladen geöffnet hatte und überall die eichenen Fensterläden noch vorgelegt waren, und ich stellte mir vor, wie hinter ihren verschlossenen Fenstern und Türen die lieben Bürger von Paris eifrigst damit beschäftigt waren, ihre Waffen zu putzen, begierig darauf wartend, über die Hugenotten herfallen zu können, sie zu metzeln und ihr Hab und Gut zu plündern, was fette Beute versprach, denn die Unseren waren mit nicht wenig Schmuck, Kleidung und Rössern zur Hochzeit der Prinzessin gekommen, dem
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