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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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König in aller Pracht die gebührende Ehre zu erweisen und sich auch ihres Ranges würdig zu zeigen. ›Oh‹, dachte ich, ›welch gefundenes Fressen, wenn Raub und Mord zu glänzenden Verdiensten werden, welche die Himmelspforte öffnen!‹
    »Moussu!« sprach da Miroul, welcher mir meine Gedanken wohl an den Augen abgelesen hatte, »auch ein Blinder müßte merken, was hier vorgeht. Es ist höchste Zeit, zum Aufsitzen zu blasen. Noch länger zu verweilen wäre Wahnwitz, wo eine ganze Stadt hinter uns her ist.«
    »Miroul«, entgegnete ich leise, »ich bin vom Ambroise Parébestellt, heute nacht am Krankenbett des Admirals zu wachen. Doch morgen in aller Frühe werden wir den Staub dieser schrecklichen Stadt von unseren Füßen schütteln.«
    »Morgen!« rief Miroul mit erschrecktem Blick, »erst morgen, obwohl der Gewittersturm gleich losbrechen wird?«
    Doch wir waren angelangt, und nachdem ich Miroul befohlen, am Hauseingang auf mich zu warten, stieg ich allein zu Alizon hinauf, welche mir, sobald sie meiner ansichtig ward, mit einem kleinen Freudenschrei um den Hals fiel und sich eng an mich schmiegte. Oh, Leser! wie tröstlich war solch weibliche Zärtlichkeit in all der Kümmernis, die ich durchlebte!
    Nachdem wir unsere Liebeslust vollbracht, erzählte ich meiner kleinen Teufelswespe, welche noch ganz außer Atem war und ihren liebreizenden schwarzgelockten Kopf an meine Schulter schmiegte, von dem Gespräch, das ich mit Meister Recroche gehabt.
    »Ich und die Unwahrheit sprechen!« sagte sie. »Er ist es, der lügt! Wenn das Fest eines Heiligen auf den Sonntag fällt, wird am Nachmittag des Vortages gefeiert, nicht aber schon am Morgen. Die Kaufleute haben ihre Läden heute nicht geöffnet, weil sie einen Volksaufruhr fürchten und die Plünderungen, welche gewöhnlich damit einhergehen. Das ist auch der Grund, weswegen der Geizkragen Recroche Euch vor die Tür setzt: er hält Euch für einen Ketzer, und wenn man Euch bei ihm niedermacht, dann wird, so fürchtet er, mit Euerm Eigentum auch gleich das seinige geplündert.«
    »Feins Lieb, vermeinst du denn, daß es zu einem Volksaufruhr kommen kann?«
    »Wer vermeint das nicht?« gab sie zur Antwort. »O mein Pierre! was seid Ihr doch einfältig, trotzdem Ihr von Adel und noch dazu ein hochgelehrter Doktor seid. Oder Ihr kennt diese große Stadt hier gar schlecht. Beim geringsten Hauch von Erregung fahren die Pflastersteine wie von selbst aus der Erde, so aufrührerisch und rebellisch sind die Pariser, wenn sie eine Suppe schlucken sollen, die ihrem Schlund und Magen nicht behagt. Doch höret wohl: dies ist kein Hauch, sondern ein Sturm. Unsere lieben Pfarrer wiederholen seit gestern unaufhörlich: die Ketzerhunde wollen sich für den Anschlag auf den Admiral am Hause Guise rächen, welches wir so sehr lieben und verehren, da es der sicherste Schutzwall der Christenheit.Und aus dieser Ursache holt heute ein jeder seine Waffen hervor, die Guisen gegen diese Teufel zu verteidigen. Heilige Jungfrau, beim ersten Ton der Sturmglocke werden wir das Ungeziefer zerquetschen!«
    »Was!« rief ich, »auch diejenigen, welche friedliche Bürger und Mitwohner dieser Stadt?«
    »Aber gewiß, denn sie sind Schlangenbrut und Natterngezücht, auch wenn sie sich verstellen und mit eingezogenem Kopf durch die Straßen laufen.«
    »Wie! sogar eure Nachbarn?«
    »Auch unsere Nachbarn!« schrie sie, sich schüttelnd wie vor Ekel, »denn wer wollte Schlangen und Nattern zu Nachbarn haben? Weißt du, mein Pierre, was ich heute morgen mit großer Freude gesehen habe, als ich um die sechste Stunde zur Milchfrau auf die Straße ging? Unser Straßenmeister malte mit weißer Kreide ein Kreuz an bestimmte Häuser der Rue Tirechappe, welche ihm der Unterviertelsmeister mit einem Papier in der Hand anzeigte und worinnen die Abtrünnigen wohnen.«
    »Straßenmeister, Unterviertelsmeister?« fragte ich, um meine Bestürzung zu verbergen. »Was ist das? Was bedeuten diese Titel?«
    »Ei was!« erwiderte sie mit einem Ausdruck höchster Überlegenheit auf ihrem Gesicht, »gibt es die etwa nicht in Euern Provinzen? Es sind die Befehlshaber der Stadt. Die Viertelsmeister befehligen jeder ein Stadtviertel, davon es sechzehn zu Paris gibt. Jedes Viertel wiederum ist geteilt in zehn Unterviertel, worinnen es jeweils fünfzig Straßen und Gassen gibt, und einer jeden steht ein Straßenmeister vor. So haben wir unsere Anführer, welche uns zusammenrufen und befehligen, wenn wir zu den Waffen

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