Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Spitzfindigkeiten! Pinarelle und Pennedepié! Pennedepié und Pinarelle! Pierre, mögen diese lächerlichen und törichten Haarspalter in Eurer Erinnerung für allezeit als das Alpha und das Omega des Nichtwissens stehen. Im übrigen sind sie, einer wie der andere, Sauertöpfe und Trauerklöße! Pierre, die Wahrheit ist nackt und das Wissen fröhlich!«
Worauf er mich, nicht ohne einige Bewegtheit, abermals umarmte. Ich begleitete diesen trefflichen Mann bis zur Tür, wo seine Kutsche seiner harrte, welche er mit einer Geschicklichkeit bestieg, die man angesichts seiner Beleibtheit nicht erwartet hätte, und indem ich ihn in lebhaftem Trott davonfahren sah, wurde mir das Herz schwer und Trauer zog in meine Seele, als ob mit ihm die Jugendjahre meiner Studienzeit zu Montpellier für immer davonzögen. Zu Ende waren sie ja leider! Nachdem das Korn geschnitten und eingefahren, war das Feld nun leer und nur noch die bloße Stoppel zu sehen. Freilich, einmal muß geerntet werden! Doch wer kann die grüne Schönheit der jungen Saat ohne Wehmut vergehen sehen?
Ich begab mich zurück in den Gastraum, allwo die Tische mit den Resten meines Doktorschmauses bedeckt waren. Sobald die Wirtin meiner von Ferne ansichtig wurde, kam sie auf mich zu, mir mit einem zuckersüßen Lächeln anzukündigen, daß sie mir den folgenden Tag die Rechnung vorlegen würde. Ihr nur knapp antwortend, da mir unversehens das Herz so traurig geworden, rief ich nach Miroul, welcher, auf einem Schemel sitzend, mit einer der Hausmägde schwatzte. Je nachdem, welche Seite seines Angesichts er ihr zuwandte, blinzelte er ihr bald mit seinem braunen, bald mit seinem blauen Auge zu, so daß die Schöne, solcherart bestürmt, wie Butter in der Sonne dahinschmolz; doch das Schmelzen gehörte zu ihren Obliegenheiten, denn die Ärmste war eine der Annehmlichkeiten, welche man allhier den Einkehrenden bot. Ich hieß Miroul, mir Degen, Dolch und Pistolen zu bringen, welche ich am Morgen in der Herberge gelassen, weil das Tragen von Waffen verboten war in unserer Medizinischen Schule, als ich, seiner wartend und dabei nur an mein Bett denkend, mich unversehens an den langen Teufel Giacomi in seinem kleinen Kabinetterinnerte. Und wie gut es war, daß mich mein Gedächtnis hier nicht im Stich gelassen, soll der Leser alsbald erfahren.
Nachdem der Italiener nach Genügen gefuttert, schlief er nunmehr wie ein Ratz, den Kopf auf die Arme gelegt, auf dem Angesicht jenen Ausdruck kindlicher Glückseligkeit, welchen man von den Auserwählten auf den Kirchenfenstern der Papisten kennt. Ich rüttelte ihn an der Schulter.
»Oh, Herr Medicus!« rief er aus, im Lichte der Kerze wie eine Eule in der Sonne blinzelnd, »Ihr habt eine treffliche Kurierung vollbracht, indem Ihr mir den Bauch gefüllet: mir träumte, ich wäre im Himmel!«
»Giacomi«, sprach ich ernst, jedoch ohne Schroffheit, »was bist du wirklich? Ein Beutelschneider? Einer, der für Geld mordet?«
»Nichts von all dem, Herr Medicus!« sprach Giacomi erhobenen Hauptes mit seinem italienischen Lispeln. »Ich war, wie ich vermeldet hab, Fechtmeister zu Genua und hoch geschätzt ob meiner Kunst. Doch da ich in ehrlichem Duell einen Edelmann, welcher mich herausgefordert, den Garaus gemacht, mußte ich aus meinem Vaterland fliehen, meinen Kopf zu retten. Und zwar so unversehens, daß ich kein Geld mitzunehmen vermochte.«
Ich betrachtete ihn: er hatte ein gar eigentümlich Angesicht, oval, recht mager, von brauner, ja dunkelbrauner Färbung, in welchem alles auf recht possierliche Weise nach oben gezogen war: die Augenwinkel, die Mundwinkel und ebenso die Nase, welche ihm aufgestülpt gewachsen. Seine pechschwarzen Augen, gar weit aus ihren Höhlen hervorstehend und solcherart viel Weiß zeigend, blickten in ständiger Bewegung höchst neugierig in die Welt, doch ohne jede Falschheit noch Hinterhältigkeit, Hager und knochig an Leib und Gliedern, hatte er überaus lange Arme und Beine, auch waren seine Bewegungen von einer Lebhaftigkeit und Flinkheit, welche an einen Vogel denken ließen. Indem ich ihn dergestalt, das Gesicht so offen und ehrlich, vor mir sah, hielt ich für wahr, was er gesprochen. Zudem schien er ein durchaus gebildeter als auch kenntnisreicher Mann und sprach das Französische mit hinlänglicher Korrektheit.
»Aber Giacomi«, so fragte ich, »kann man dir nicht dein Geld aus Genua schicken?«
»Leider nein! Nach meiner Abreise ist die Dirne, mit welcher ich mein Leben geteilt, mit meinem
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