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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Beutel, meinen Kleinodien, meinen Möbeln auf und davon. Oh, Herr Medicus, ich war zu Genua so begütert und vermögend, wie ich heute allhier unbemittelt bin. Doch lassen wir das, ich will nicht länger daran denken.
Nessun maggior dolore che ricordarsi del tempo felice nella miseria.
1 «
    Es erfreute mich höchstlich, daß er Dante zitierte, welchen ich mehr als alle anderen Dichter seiner Zeit schätzte. Doch sei es, daß seine Gesichtszüge ihm einen vergnüglichen Ausdruck verliehen, oder sei es, daß er eine unversiegliche Quelle des Frohsinns in sich trug – auch als er die traurigen Worte Dantes zitierte, war seine Miene heiter.
    »Also«, sprach ich, »keinen Sol im Beutel!«
    »Keinen einzigen!«
    »Und wo wirst du heute nacht schlafen?«
    »Wie gestern: unter einem Strebebogen der Kirche Saint-Firmin, und nur mit einem Auge, dazu den Dolch in der Hand, denn in dieser Stadt wimmelt es von Gaunern, welche nicht davor zurückschrecken, einem ehrlichen Manne nur um eines geflickten Wamses willen den Garaus zu machen.«
    Nach welchen Worten ich mich eine kleine Weile bedachte.
    »Giacomi«, sprach ich schließlich, »willst du heute nacht mit meinem Diener Miroul das Lager teilen? Er ist kein schlechter Gefährte.«
    »Oh, Herr Medicus!« rief Giacomi aus, seine langen Arme zum Himmel erhebend.
    »Willst du?«
    »Gewiß!« antwortete Giacomi nicht ohne ein gewisses Zögern, welches ich sehr wohl bemerkte. »Ein Dach über dem Kopf ist besser denn die Kälte des freien Himmels, und ein ehrlicher Diener besser denn ein Spitzbube.«
    Im selbigen Augenblick trat nach einem Klopfen Miroul in unser kleines Kabinett ein, seine Waffen angelegt und die meinigen in der Hand.
    Da erhob sich Giacomi lächelnd, nahm sie ihm aus der Hand, verbeugte sich auf das artigste vor mir, jedoch mehr aufdie Art eines Junkers denn eines Dieners, und bat mich um die Erlaubnis, meinen Degen näher in Augenschein nehmen zu dürfen. Dem zustimmend, zog ich ihn aus der Scheide und reichte ihm denselben. Er nahm die Klinge in seine langen, nervigen Hände, welche, wie ich sah, recht sauber waren – ein Beweis, daß er sich vor dem Schmaus einen Waschkrug von der Wirtin hatte bringen lassen –, führte sie an seine Stülpnase, gleichsam um daran zu riechen, worauf sein Blick über ihre ganze Länge glitt. Alsdann legte er die Klinge drei Zoll vom Stichblatt entfernt auf seinen linken Zeigefinger und hielt sie dort in der Schwebe, ohne daß sie sich nach der einen noch der anderen Seite neigte.
    »Herr Medicus«, sprach er, »gestattet, daß ich nunmehr die Biegsamkeit prüfe?«
    Nach meiner Zustimmung setzte Giacomi mit gebeugtem Arm die Degenspitze auf die Tür, streckte dann unversehens den Arm, dabei das Knie beugend, so daß die Klinge sich zu einem vollkommenen Halbkreis bog und der Knauf nur etwa einen Fuß von der Spitze entfernt war. Nachdem Giacomi den Druck seines Armes gelockert, nahm die Klinge augenblicks wieder ihre gerade Form an, ohne daß auch nur die Spur einer Biegung zurückgeblieben wäre. Sich mit solchem Ergebnis noch nicht zufriedengebend, zog Giacomi nunmehr aus seinen Beinkleidern ein kleines Schlüsselchen hervor, womit er die Klinge Zoll um Zoll abklopfte, das große Ohr den solcherart erzeugten Tönen entgegengeneigt, als stimme er eine Viole. Hierauf sprach er mit gewichtiger Miene, jedoch mit einem Lispeln, welches seiner Ernsthaftigkeit alles Gravitätische nahm:
    »Herr Medicus, erstlich ist zu bemerken, daß die Klinge nicht flach ist wie die eines gewöhnlichen Haudegens, welcher auf Hieb, nicht aber auf Stoß zu gebrauchen ist. Sie ist dreieckig, von gutem Querschnitt am Stichblech und nach der Spitze zu dünner. Ich habe keine schwarzen Flecken darauf bemerkt: das Metall ist also frei von schwachen Stellen, an denen es brechen könnte. Da die Spitze etwas ausgebrochen ist, vermochte ich die Färbung im Innern des Stahls wahrzunehmen, welche – Gott sei Dank – grau und nicht weiß ist. Auch hat sich die Klinge, als ich sie bog, nicht an der Spitze gekrümmt, sondern in der Mitte und so die Form eines gleichmäßigen Halbkreisesangenommen, wonach sie mit einigen Schwingbewegungen wieder ihre ursprüngliche Geradheit annahm: also ist sie nach den Regeln der Kunst gehärtet, wie auch das Abklopfen mit meinem Schlüssel bestätigt. Schließlich ist die Waffe von der Spitze bis zum Knauf im rechten Verhältnis gestaltet, so daß sie leicht in der Hand liegt und schnell im Stoß ist, sofern es die Sinne

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