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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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gegen den Amtsadel.
    Unsere Unterhaltung bot Gelegenheit, ihn eingehender zu betrachten. Er hatte eine hohe, etwas gewölbte Stirn, hochsitzende Backenknochen, ein volles, nicht zu dickes Angesicht, eine lange, starke Adlernase, große dunkle, ovale, jüdische Augen, welche bald lustig und verschmitzt, bald vorsichtig, mißtrauisch und schier unruhig blickten. Seine vollen Lippen waren in den Mundwinkeln etwas nach unten gezogen, und sein Schnurrbart, welcher diesem Zug folgte und ihn noch unterstrich, gab ihm ein etwas grämliches Aussehen, zumindest solange sein Lächeln sich nicht zeigte, welches höchst angenehm war, so daß mir schien, sein Gesichtsausdruck schwanke beständig zwischen Heiterkeit und Melancholie.
    Seine Kleidung war sehr ausgesucht: er trug ein schwarzsamtenes Wams und gleichfarbige Beinkleider mit weißunterfütterten Schlitzen, an der Seite einen Degen, wie ich bereits vermeldet, obgleich er sich in seinem Hause befand. Den Kinnbart (welcher bereits grau durchzogen) trug er nicht in voller Länge wie Rondelet oder Saporta, sondern nahe dem Gesicht gestutzt, sei es, weil er dies für einen Höfling angemessener fand, oder sei es, daß ihm überhaupt der Bart mißfiel, er ihn indes der Unbequemlichkeit des Rasierens vorzog. Ohne daß sein Gesicht so sonnenverbrannt war wie das meines Vaters, hatte die Sonne des Périgord ihm die Wangen gefärbt, und wenn auch seine Statur eher klein war, schien er doch gesund und wohl bei Kräften zu sein.
    »Monsieur«, sprach er, den Brief wieder zusammenfaltend und in sein Wams steckend, »ich kenne Euern Herrn Vater aus den Erzählungen meines dahingeschiedenen Freundes, Herrnde La Boétie, welcher ihn für einen höchst ehrenwerten Mann hielt. Ihr werdet mir später mit größerer Muße Eure Angelegenheit darlegen. Alljetzt bitte ich Euch, mir in meine Wohngemächer zu folgen, wo ich jeden Tag die zwei Stunden vor dem Abendessen zuzubringen pflege.«
    »Ei, Herr von Montaigne!« sprach ich, mich erhebend, »was habt Ihr für eine wunderbare Bibliothek, sie übertrifft die auf Mespech um ein beträchtliches, obgleich selbige auch schon umfänglich ist.«
    »Mein Vater«, erwiderte Montaigne, »hat den Grundstock dazu gelegt, und seit ich das Mannesalter erreicht, habe ich weder Mühe noch Kosten gescheut, dies Erbstück abzurunden.«
    Und indes er das Wort
abrunden
aussprach, deutete er mit seiner schmalen, zarten Hand lächelnd auf die Regale, welche die Bücher trugen und der Wölbung der Wand folgten, denn der Raum war von vollkommen runder Form, ausgenommen der Teil, welcher sich zur Treppe hin öffnete, welchselbige ebenfalls rund war, obgleich sie sich in einem kleinen viereckigen Turm befand, der sich an den großen anschloß. In ihrer Rundheit mutete diese Bibliothek gleichsam an wie ein Kokon, jene wundersame Hülle, in welcher die eingeschlossene Puppe Schutz und Geborgenheit findet.
    Auf der Treppe verweilte mein Gastgeber, uns sein Schlafgemach zu zeigen, an welches sich ein Kämmerchen anschloß, das durch eine Maueröffnung mit der darunterliegenden Kapelle verbunden war, so daß die Worte und Gesänge des die Messe Lesenden bis zu ihm dringen konnten, ohne daß er sich aus dem Bett zu erheben brauchte.
    »Ei!« rief ich lächelnd, »eine ähnliche Einrichtung findet sich auch auf Mespech! Mein Vater und Sauveterre hatten sie gleich nach dem Erwerb der Burg angebracht, da sie als Hugenotten, welche sich als solche nicht zu erkennen geben durften, denn die Unseren wurden seinerzeit grausam verfolgt, den Eindruck erwecken wollten, als hörten sie die Messe, ohne sie indes wirklich zu hören.«
    »Ho ho! Aber ich höre sie!« sprach Montaigne. »Ich höre sie mit Fleiß und Andacht! Meine Mutter«, so fuhr er nicht ohne einige Gefühlsregung fort, »war Maranin, und da sie an dem Glauben, welcher ihren Vorfahren mit Gewalt, durch Folter und Scheiterhaufen, aufgezwungen worden, keinen Gefallen findenkonnte, verschrieb sie sich ehrlichen Gefühls der reformierten Religion. Ebenso mein Bruder, und zwar nicht ohne einen gewissen Eifer, welchen Monsieur de La Boétie – ich erinnere mich wohl – auf seinem Totenbett tadelte. Ich aber, Monsieur«, so fügte er hinzu, »der ich Frieden und Mäßigung über alles liebe, hänge derselben Religion an wie der König.«
    Er sagte dies mit einem Lächeln voller feinem, verstecktem Spott, welches mir zu vermuten gab, daß, so der königliche Glaube wechseln sollte, der seinige ohne große Gewissensqualen

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