Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
-Blatt, auf dem er seine eigenen und Dans Erkenntnisse notiert hatte. Beide hatten sie ihre Geschichte erzählt. »Und bei Lone Willumsen bist du zu hundert Prozent sicher?«, fragte Flemming zum dritten oder vierten Mal. »Ich kann dem Hauptkommissar nicht mit so einer Anschuldigung kommen, wenn es sich nur um ein Gerücht handelt.«
»Mein Gefühl sagt mir, dass meine Quelle absolut verlässlich ist«, antwortete Dan. »Aber wie gesagt, ich habe versprochen, ihren Namen herauszuhalten, näher kommen wir der Wahrheit also nicht.«
»Hm.« Flemming kratzte sich im Nacken. »Na gut, wenn wirklich etwas dran ist an dem Gerede, dann wird Lones Name ohnehin wiederauftauchen. Im Moment ist sie krankgeschrieben, aber falls es stimmt, was du sagst, würde es einiges erklären.« Er ließ den Blick weiter über die Notizen wandern. Die einzelnen Punkte waren mit Pfeilen verbunden, von Kreisen umrahmt oder mit einer Menge Ausrufe- und Fragezeichen versehen. »Wirklich dämlich, dass wir nicht früher miteinander geredet haben«, sagte er dann. »Wir haben viel Zeit verschwendet.«
Dan trank die letzten kalten Tropfen aus seiner Kaffeetasse. »Tja, hinterher ist man immer klüger«, sagte er. »Fassen wir’s noch mal zusammen?«
»Gute Idee.« Flemming legte die Notizen beiseite und lehnte sich mit im Nacken verschränkten Händen zurück. »Wir haben ein System von Bordellen und Massagekliniken, die einem Herrn namens Curt Loos gehören. Möglicherweise ist er Holländer, Frank Janssen war sich nicht ganz sicher, als ich gestern Abend mit ihm geredet habe. Janssen ist im Moment wahrscheinlich dabei, den Hintergrund von Curt Loos zu durchleuchten. Die Bordellkette liegt in verschiedenen jütländischen Städten, Herning, Tønder und Hjørring wurden genannt. Geleitet wird sie von einer Adresse im Zentrum von Århus aus. Die Prostituierten sind fast alles Ausländerinnen, und meinem Eindruck nach wird ein großer Teil von ihnen mehr oder weniger wie Sklavinnen gehalten. Versuchen sie zur Polizei zu gehen, werden sie spätestens drei Monate später in ihre Heimatländer abgeschoben und kehren häufig mit neuen Papieren sofort wieder nach Dänemark oder in ein anderes europäisches Land zurück. Loos hat nur wenig mit dem Tagesgeschäft zu tun. Er beschäftigt eine Reihe von Leuten, die sich um die einzelnen Filialen kümmern. An die Spitze der Organisation hat er seine rechte Hand gesetzt, den ehemaligen Polizeibeamten John Peter Frandsen, der bei den Mädchen als Jonny Evil bekannt ist, und dieser Spitzname sagt offenbar einiges über ihn aus, wenn man den beiden Zeugenaussagen Glauben schenken darf, die uns vorliegen. Frandsen bedient sich systematischer Vergewaltigungen und psychischen Terrors, um den Willen der Neuangekommenen zu brechen, aber auch von den Mädchen, die sich irgendwann als widerspenstig erweisen.«
»Zwei Zeugenaussagen?« Dan war verwirrt. »Habt ihr nicht nur mit einer Frau gesprochen? Dieser Jo?«
»Ich zähle das gefilmte Interview mit Sally dazu.«
»Und was hält ein Richter davon? Eine tote Zeugin? Es könnte sich ja um eine Schauspielerin handeln?«
»Das ist im Augenblick nicht unser größtes Problem.« Flemming trank den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse. »Abgesehen davon habe ich überhaupt keinen Zweifel, dass wir in der Jernbanegade weitere Mädchen finden, die aussagen werden, wenn John Frandsen erst einmal hinter Gittern sitzt.«
»Es gibt jemanden, der ihn im Auge behält, oder?«
»Ja, dank dir.« Flemming lächelte. »Sonst hätte es lange dauern können, ihn zu finden.«
»Ist er jetzt im Hotel?«
»Wir gehen davon aus. Jedenfalls hat er nach acht Uhr heute Morgen sein Zimmer nicht verlassen, und sein Schlüssel ist nicht an der Rezeption.«
»Wieso nehmt ihr ihn nicht einfach fest?«
»Das machen wir irgendwann. Aber ich habe den schweren Verdacht, dass es einen Grund gibt, warum er sich noch immer in der Stadt aufhält. Wenn wir ihn ein, zwei Tage beschatten, finden wir hoffentlich heraus, was er vorhat.«
»Ich freue mich, wenn er eingesperrt wird«, sagte Dan. »Nicht zuletzt wegen meiner Familie.«
»Dass sie seit Tagen bei euch wohnen, ohne dass ich davon wusste …« Flemming sah Dan an. »Hast du mir wirklich nicht vertraut?«
»Alice und Benjamin vertrauen keinem Polizisten, und in gewisser Weise kann ich sie verstehen. Du musst mir versprechen, dichtzuhalten, bis Frandsen eingelocht ist.«
In diesem Moment klingelte Flemmings Mobiltelefon. Er blickte
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