Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
Bettes lagen drei, vier Paar Schuhe auf dem Boden, alle hochhackig und in kräftigen bunten Farben, alle in Größe 41 – wie die roten Stiefel im Flur.
Flemming zog einen der Kästen unter der Liege hervor. Er war voller Kleidung in fröhlichen Farben und frechen Mustern. Der andere Kasten enthielt ziemlich aufreizende Damenunterwäsche: einen türkisfarbenen BH mit grüner Stickerei, einen knallroten Spitzen- BH , mindestens zehn verschiedene G-Strings in unterschiedlichen Farben, ein pinkfarbenes Seidenmieder.
»Lillianas?«, fragte Flemming und hielt einen winzigen kobaltblauen BH in die Luft.
»Glaub ich nicht«, sagte Dan. »Lass mich mal sehen.« Er sah sich die Größenangabe an. » 70 A. No way. Lilliana hatte einen größeren Busen, soweit ich mich erinnere. Und sie war auch nicht so schmal.«
Flemming legte den BH wieder in die Schublade. »Ich denke, wir können festhalten, dass der Rest dieser Kleiderkiste wohl Sally gehört.«
»Bestimmt.« Dan ließ den Blick durch den kleinen Raum schweifen. Die Tapete hatte einen Wasserschaden und war fleckig, aber Sally hatte sich immerhin die Mühe gemacht, die Schräge über der Liege mit Bildern zu bekleben, die sie aus Illustrierten und Reklamewurfsendungen ausgeschnitten hatte. Ein Katzenjunges in einem alten Stiefel, Johnny Depp als Willy Wonka, ein Strand mit Palmen, eine Doppelseite mit Galakleidern von der letzten Oscar-Verleihung.
Flemming öffnete die Schreibtischschublade. Haarschmuck, Make-up, ein paar unechte Schmuckstücke, eine Packung Antibabypillen. Dan schob sie mit dem Zeigefingernagel zurecht, damit er den Aufkleber der Apotheke lesen konnte. Sally war offenbar Patientin bei Regitze Jung, einer von Mariannes Kolleginnen im Ärztehaus Christianssund. Die Ärztin hatte ihr die Antibabypillen verschrieben und ihr eine Schachtel mitgegeben, auf der »Nur für den eigenen Praxisgebrauch« stand. Merkwürdig, dachte er. Ganz hinten in der Schublade lag eine schwarze Pappschachtel, die einen Stapel Geldscheine enthielt, alles in allem etwas über dreitausend Kronen und ein bisschen Kleingeld.
Sie gingen in das letzte Zimmer, das größte der Wohnung. Ein Esstisch mit zwei ungleichen Holzstühlen und einer karierten Wachsdecke. Nackte Wände, an denen ein einzelnes Ölbild von der Sorte hing, die man auf jedem Flohmarkt nachgeschmissen bekommt: ein Fischerboot im vom Sturm aufgewühlten Meer. Eine beeindruckend gepflegte Bubikopf-Pflanze am einzigen Fenster des Raums, es handelte sich um ein dreiflügeliges Fenster, das in einer Nische zwischen den schrägen Flächen der Außenwand saß. Ein braunes Schlafsofa, ausgezogen zum Doppelbett, bezogen für eine Person. Ein nagelneues, hellblaues Satinnachthemd und pastellfarbene Bettwäsche, die so zerschlissen war, dass man das Muster der geblümten Steppdecke durch den Stoff sehen konnte. Ein Regal mit zwei Teddys und einer schwarzen Keramikschale, in der ein ganz neuer Mascara-Stift, ein gebrauchter hellroter Lippenstift, eine halb volle Packung Kondome und eine Tube Salbe gegen Fußpilz lagen. In einer Ecke stand ein Garderobenschrank, der so mitgenommen aussah wie die übrigen Möbel. Darin stapelweise Kleidung in braunen, beigen, marineblauen und bordeauxfarbenen Nuancen, alles verwaschen und mit Spuren wiederholter Reparaturen. Unter einem Stapel grauweißer Baumwollslips lag eine Kosmetiktasche aus braun gestreiftem Nylon. Flemming öffnete sie vorsichtig. Auch darin lag Bargeld, rund sechzehnhundert Kronen in kleinen und großen Scheinen.
»Na ja, ein paar Gemeinsamkeiten gibt’s ja«, meinte Dan.
»Was meinst du?« Flemming legte die Kosmetiktasche zurück unter den Wäschestapel.
»Das Bargeld.«
»Sie haben vermutlich beide schwarzgearbeitet.«
»Genau.« Dan nickte in Richtung Garderobe. »Aber siehst du, wie unterschiedlich sie sonst waren? Du wirst kaum zwei gleichaltrige Frauen finden, die sich so unterschiedlich kleiden wie diese beiden. Die eine entscheidet sich für Farben und Formen, die sofort die Aufmerksamkeit der Leute erregen, die andere versucht, sich unsichtbar zu machen.«
»Ach so meinst du das. Allerdings denke ich, dass es trotzdem mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede gibt«, sagte Flemming. »Hast du je eine Wohnung ohne ein einziges Stück Papier gesehen, abgesehen von den Geldscheinen und Sallys Zeitungsausschnitten? Es gibt hier nicht einen einzigen Brief, keine Familienfotos, weder Bankauszüge noch Mietquittungen oder Taufscheine, nicht einen Beleg, auf
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