Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
sich vorstellen konnte. Es war seine erste Äußerung während dieser sogenannten Vernehmung. »Ich kann bei der Gelegenheit auch gleich fragen, ob sie ein bisschen vom Mittagessen für Frau Finsen übrig lassen können«, fügte er hinzu und wandte sich mit einem freundlichen Lächeln an die Verhaftete. »Wenn Sie Glück haben, gibt’s Rippchen. Die schmecken auch kalt.«
Merethe Finsen sah aus, als müsste sie sich übergeben. Sie blickte die beiden Polizisten an. »Was muss ich tun, um dem zu entgehen?«
»Oh, das ist nicht so einfach«, erwiderte Flemming, der jetzt bei den Handschuhen angelangt war. Ihnen widmete er dieselbe penible Aufmerksamkeit wie dem Rest der Oberbekleidung. »Aber vielleicht finden wir ja einen Weg, der alle Beteiligten zufriedenstellt«, sagte er und sah sie an. »Das erfordert lediglich ein wenig Bereitschaft zur Zusammenarbeit.«
»Seien Sie flexibel.«
»Genau dazu wollte ich Sie ermuntern«, sagte Flemming. Bosse versperrte den Platz in dem kleinen Flur, Flemming und Merethe standen jetzt so dicht beieinander, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um seinen Gesichtsausdruck erkennen zu können.
»Okay«, sagte sie nach kurzer Bedenkzeit. »Was soll ich tun?«
Hätte es bei der kleinen Vorstellung Zuschauer gegeben, hätten sie nun beobachten können, wie sich eine nahezu unsichtbare Welle der Erleichterung über die beiden Polizisten ergoss: Die Schultern senkten sich um Bruchteile eines Millimeters, die angespannte Nackenmuskulatur lockerte sich, die tiefen Furchen ihrer Gesichter glätteten sich. Aber keine der drei Personen bemerkte es. Dazu waren sie viel zu konzentriert.
Die beiden Männer zogen ihre Mäntel wieder aus, Merethe brühte eine frische Kanne Kaffee und brachte eine Rolle Kekse, und einige Minuten später saßen sie erneut an dem polierten Couchtisch.
Flemming ergriff das Wort: »Sie liefern uns eine detaillierte Erklärung für die Unregelmäßigkeiten, die wir in Ihrer Buchführung gefunden haben. Das können Sie Kriminalassistent Bosse erzählen, wenn ich gegangen bin. Sie berichten uns genau, wie jede einzelne Absprache mit Ihren Kunden aussieht und wie viele illegale Mitarbeiter Ihre Firma hat. Und dann geben Sie ihm Ihren Pass und Ihr Ehrenwort, dass Sie das Land nicht verlassen werden. So können wir dem Betrugsdezernat und den anderen beteiligten Behörden gegenüber vertreten, dass wir Sie auf freien Fuß gesetzt haben. Ein Geständnis auf Band und die Kopien Ihrer gesamten Buchhaltung reichen ihnen zunächst.« Er sah sie an. »Aber das erfordert zwei Dinge. Ich will die volle und ungeschminkte Wahrheit, wie Sie mit Lilliana in Kontakt gekommen sind, wie Sie Lilliana bezahlt haben – und auch sonst absolut alles, was Sie über Lilliana wissen.«
Merethe Finsen nickte. Sie wirkte gefasst, offensichtlich hatte sie einen Entschluss gefasst. »Und die andere Sache?«
Sie zuckte zusammen, als Flemming das schwarze Notizbuch aus der Tasche zog. »Die zweite Bedingung ist, dass Sie mir erklären, wie die einzelnen Posten dieser inoffiziellen Buchführung zu verstehen sind.« Er legte das Notizbuch zwischen sie auf den Tisch. »Sind wir im Geschäft?«
Sie zögerte einen Moment, dann nickte sie. Claus Bosse bereitete den mitgebrachten Kassettenrecorder vor und testete den Ton: »Eins, zwei, eins, zwei.« Dann spulte er zurück und drückte die Aufnahmetaste.
»Fangen Sie mit Lilliana an«, forderte Flemming sie auf, nachdem er Datum, Zeit und die Namen der Anwesenden genannt hatte. »Wie haben Sie sie kennengelernt?«
»Durch ihre Freundin Sally. Sally hat früher bei mir gearbeitet, vor ein paar Jahren bekam sie dann das Angebot, im Café Clint zu kochen. Wir haben uns nie ganz aus den Augen verloren. Wenn sie von jemandem hörte, der einen Job brauchte, gab sie ihm meine Nummer und bekam ein bisschen Bargeld für die Vermittlung.«
»Ist der Job im Café auch schwarz?«
»Vermutlich.«
»Kennen Sie Sallys Nachnamen?«
»Weder Sallys noch Lillianas. Ich bin nicht mal sicher, ob es ihre richtigen Vornamen sind.« Sie nagte an ihrer Unterlippe. »All diese Mädchen, also wirklich alle haben sie jemanden oder etwas, vor dem sie sich verstecken. Meist ist es die Ausländerbehörde, aber es kann auch mit ihren Familien zu tun haben. Zwangsheiraten, ein gewalttätiger Ehemann oder von mir aus auch ein Zuhälter. Man hört ziemlich grausame Geschichten.«
»Reden Sie viel mit den Mädchen, die Sie beschäftigen?« Claus Bosse ertrug seine
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