Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
Preisschwankungen. Einige Kunden müssen den vollen Preis zahlen, während anderen nur ungefähr die Hälfte des korrekten Betrages berechnet wird. Es gibt sogar eine Art System: Alle Kunden der öffentlichen Hand, Schulen, Kindergärten und Bibliotheken, müssen den vollen Preis zahlen, während rund siebzig Prozent Ihrer Privatkunden das nicht tun.« Er sah Merethe an, die weiterhin den Blick auf ihre Hände gerichtet hielt.
»Wir haben eine Theorie, wie sich dieses Phänomen erklären lässt, und wir würden sie gern mit Ihnen teilen.« Flemming erhob sich und trat an das Fenster mit der fantastischen Aussicht. »Wir sind sicher, dass Firmen, die auf die eine oder andere Weise in der Lage sind, selbst hier und da etwas schwarz zu verdienen – Handwerker und kleine Läden etwa –, von Ihnen das Angebot bekommen, einen Teil der Reinigungsarbeiten schwarz zu übernehmen. So können Sie Ihre illegalen Mitarbeiter bezahlen. Die Kunden erhalten dann eine Rechnung über die Hälfte des eigentlichen Betrags, damit die Behörden sich nicht allzu sehr wundern, während der Rest des Geldes unter der Hand gezahlt wird. Alles in allem kommt der Kunde ein bisschen billiger davon, Sie verdienen etwas mehr, und eine verblüffende Zahl von Mitarbeitern, die aus dem einen oder anderen Grund keine gewöhnliche Arbeit haben oder wollen, können stattdessen bei Ihnen steuerfreies Geld verdienen.«
Merethe blinzelte in das Licht, das den Kriminalkommissar als eine dunkle Silhouette erscheinen ließ. Sie schwieg. Flemming fügte hinzu: »Denn Lilliana ist kein Einzelfall. Einer meiner beharrlichen Mitarbeiter hat heute Morgen eine gute Stunde damit verbracht, einige Ihrer Kontaktpersonen bei verschiedenen Kunden anzurufen. Und siehe da, überall kommen zwei oder mehr Mitarbeiter zum Saubermachen. Wenn wir diese Informationen mit Ihren Unterlagen vergleichen, dann wird das System deutlich: Es ist immer ein ganz legaler, steuerpflichtiger Mitarbeiter in einem Team. Er oder sie haben
immer
mindestens einen inoffiziellen Kollegen dabei.«
Merethe verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Flemming sah sie an und ließ einige Augenblicke verstreichen, in denen sie allerdings keinen Ton über die Lippen brachte. Er seufzte. »Merethe, Sie müssen jetzt bald etwas sagen, damit ich dem Betrugsdezernat gegenüber erklären kann, dass Sie bei den Ermittlungen in einer Mordsache kooperativ waren und man sie deshalb ein wenig freundlicher behandeln soll.« Er setzte sich wieder in den Sessel, beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die Knie. »Wollen Sie noch immer behaupten, dass Sie Lilliana nicht kennen?«
Sie sah ihm einige Sekunden schweigend in die Augen. Dann sagte sie: »Werde ich wegen irgendetwas beschuldigt?«
Flemming konnte ein kleines, resignierendes Prusten nicht unterdrücken: »Worauf Sie sich verlassen können.«
»Bin ich festgenommen?«
Er lehnte sich zurück und sah sie an. Dann nickte er langsam. »Ja, ich fürchte, wir sind gezwungen, Sie mitzunehmen, bis das Betrugsdezernat die Möglichkeit hatte, sich mit dem Fall vertraut zu machen. Und glauben Sie mir, auch die Ausländerbehörde und das Finanzamt werden interessiert sein.«
Sie kniff die Augen zusammen.
»Wie gesagt, je eher Sie sich entschließen, mir zu helfen, desto schneller ist es überstanden.«
»Ich sage nichts, bevor mein Anwalt anwesend ist.«
Flemming Torp und Claus Bosse sahen sich an und erhoben sich gleichzeitig.
Merethe zog die Brauen zusammen. »Was ist?«
»Sie haben das volle Recht, den Fall mit Ihrem Anwalt zu besprechen«, erklärte Flemming. »Aber wir haben leider keine Zeit, um darauf zu warten, bis er oder sie eingetroffen ist.«
»Und?« Jetzt stand auch Merethe Finsen auf, der letzte Rest Farbe hatte ihre Wangen verlassen.
»Tja, wir müssen Sie nach Christianssund bringen und in Haft nehmen. Wir setzen unser Gespräch dann im Laufe des Tages fort, wenn Sie Ihren Anwalt erreicht haben«, sagte Flemming und zog seinen Mantel an. Er knöpfte ihn sorgfältig zu, und erst, als er sich vergewissert hatte, dass auch der oberste Knopf im Knopfloch steckte, blickte er Merethe wieder in die Augen: »Vielleicht wird das aber auch erst morgen etwas. Man weiß ja nie, was zu erledigen ist, wenn man zurückkommt.«
Claus Bosse ließ sich ebenfalls Zeit beim Anziehen. »Soll ich die Leute vom Gefängnis anrufen und sie bitten, eine Zelle vorzubereiten, Torp?«, erkundigte er sich mit dem unschuldigsten Gesichtsausdruck, den man
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