Die Haarteppichknüpfer - Roman
eisernen Haken in ihn hineingestoßen, um alles in ihm aufzuwühlen, einen dicken Bodensatz vergessen geglaubter Erinnerungen und Gefühle, eine überwältigende Flut von Bildern. Die Worte des Viehzüchters hallten in ihm nach wie die Geräusche von Schritten in einer großen Höhle.
Ein Rebell? Was mochte das heißen? War es denn möglich, den Kaiser abzusetzen? Er verstand die Worte, doch der Gedanke erschien Parnag absurd, wie ein Widerspruch in sich.
Aber da waren diese Bücher, die er unter Stapeln von dürrem Holz und getrocknetem Baraq-Dung versteckt hielt. Die anderen Planeten, auf denen Haarteppiche geknüpft wurden. Dieses Gerücht, das vor zwanzig Jahren aus der Hafenstadt zu ihm gedrungen war …
Nun war es an ihm, das Richtige zu tun. Das, was Mut erforderte. Was Angst machte, weil dahinter das Unbekannte lauerte.
Er spürte plötzlich seine verkrampften Hände und wie sich seine Finger schmerzhaft in die Handballen pressten. Viel Zeit zum Überlegen blieb nicht. Niemand wusste, wie lange der Fremde an den Schabrat-Felsen bleiben mochte. Wenn er ihn verpasste, würde er einst sein Leben mit unbeantworteten Fragen beenden müssen.
Niemand außer ein paar alten Frauen begegnete ihm auf seinem Weg aus der Stadt hinaus, und die würdigten ihn keines Blickes. Als er die Stadttore hinter sich hatte, spürte er, dass die Unruhe der letzten Stunden verschwunden war. Er fühlte sich von ruhiger Klarheit erfüllt.
Der Horizont war zu einem feuerrot schmelzenden Band geworden, und am schwarzblauen Himmel zeigten sich die ersten Sterne, als er an seinem Ziel ankam. Wie düstere Dome ragten die schwarzen Höhlenfelsen gegen die Dämmerung auf. Es war niemand zu sehen.
»Hallo?«, rief Parnag schließlich, zuerst zögernd und leise, dann, als keine Antwort kam, lauter. »Hallo?!«
»Er ist nicht mehr da, der Fremde«, ertönte plötzlich eine schneidend scharfe Stimme.
Parnag fuhr herum. Es war der Prediger, der da stand wie hingezaubert. Brakart, der Prediger. Brakart, der heilige Wanderer. Brakart, der kleine Mädchen missbraucht hatte. Und jetzt kamen noch mehr Männer hinter den Felsen hervor, wo sie sich versteckt hatten.
Parnag sah, dass sie alle Steine in den Händen trugen. Eine heiße Woge stieg aus seinem Bauch auf und brandete in seinen Kopf. Er wusste, dass sie ihn töten würden.
»Was willst du von mir, Brakart?«, fragte er mit einer Entrüstung, die gespielt war.
Die Augen des Predigers funkelten bösartig. »Nenn mich nicht bei einem Namen! Ich bin ein heiliger Wanderer und habe keinen Namen mehr.«
Parnag schwieg.
»Man hat mir berichtet, Parnag«, begann der Prediger langsam, »dass du vor vielen Jahren ketzerische Reden geführt hast und dass du sogar versucht hast, deine Mitmenschen zum Zweifel zu verführen.«
In diesem Moment entdeckte Parnag Garubad unter den Männern, die einen weiten Kreis um ihn gebildet hatten. »Du?«
Der Viehzüchter hob abwehrend die Hände. Er war der Einzige, der keinen Stein trug. »Ich habe ihm nichts anderes gesagt als dir, Parnag.«
»Als Garubad mir von seiner Begegnung heute Nachmittag erzählte und ferner, dass du als Erster davon Kenntnis erhalten hast, hielt ich den Augenblick für gekommen, deine Wahrhaftigkeit zu prüfen«, fuhr der heilige Wanderer fort. Mit blankem Triumph in den Augen setzte er hinzu: »Und du hast die Prüfung nicht bestanden!«
Parnag sagte nichts. Es gab nichts mehr zu sagen. Seine Schuld hatte ihn endlich eingeholt.
»Ich weiß nicht, wen oder was Garubad getroffen hat. Vielleicht hat sich jemand einen schlechten Scherz mit ihm erlaubt. Vielleicht ist er einem Verrückten begegnet. Vielleicht hat er sich alles nur eingebildet – es spielt keine Rolle. Das Einzige, was eine Rolle spielt, ist, dass du gekommen bist. Es beweist, dass du es tatsächlich für möglich hältst, dass es Rebellen gegen den Kaiser geben könnte. Womöglich hältst du es sogar für möglich – obwohl ich zugeben muss, dass eine derartige Verblendung meine Vorstellungskraft übersteigt –, dass jemand den Kaiser absetzen könnte. Wie dem auch sei, deine bloße Anwesenheit hier widerlegt, dass du ein gläubiger, gottesfürchtiger Mensch bist. Sie beweist das Gegenteil. Du bist ein Zweifler, und wahrscheinlich bist du es dein Leben lang gewesen. Und wer mag wissen, wie viel Unheil du damit über deine Mitmenschen gebracht hast?«
»Ketzer!«, schrie einer der Männer.
Der erste Stein traf Parnag dicht an der Schläfe und warf ihn zu Boden.
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