Die Haarteppichknüpfer - Roman
so unnahbar, und in all den Jahren war es ihm nicht gelungen, das Eis zu schmelzen. Sein eigenes Herz war es gewesen, das sich Frostbeulen geholt hatte.
Narana schob ihm wortlos einen Teller mit Brei über den Tisch. Dann, fast erschrocken, als habe sie sich zu weit vorgewagt, zog sie sich auf ihren Stuhl zurück. Die zierliche blonde Nebenfrau, die ihrer beider Tochter hätte sein können, aß schweigend und leise, über ihren Teller gebeugt, als wolle sie sich unsichtbar machen.
Borlon wusste, dass Narana sich von Karvita gehasst fühlte, und wahrscheinlich stimmte das auch. Wann immer sie zu dritt in einem Raum waren, lag Spannung in der Luft. Karvita ließ sich in ihrer kühlen Art nichts anmerken, aber Borlon war sicher, dass sie eifersüchtig auf die junge Nebenfrau war, weil er mit ihr schlief.
Hätte er darauf verzichten sollen? Narana war die einzige Frau, aus deren Bett er jemals mit heilem Herzen wieder aufgestanden war. Sie war jung und schüchtern und verstört, und ursprünglich hatte er sie nur wegen ihrer herrlichen weißblonden Haare zur Frau genommen, die zu Karvitas Haar einen unglaublich wirkungsvollen Kontrast bildeten. Und sie hatte schon einige Jahre unberührt bei ihnen im Haus gelebt, ehe er ihr auf Karvitas Vorschlag hin das erste Mal beigewohnt hatte.
Wenn er mit ihr allein war, dann konnte sie wunderbar gelöst, leidenschaftlich und von dankbarer Zärtlichkeit sein. Sie war der Lichtblick in seinem Leben. Nur Karvitas Herz war seitdem unzugänglich geworden, endgültig, wie ihm schien – und er fühlte sich schuldig deswegen.
Er sah aus den Augenwinkeln, wie sich Karvita mit den Fingern durch die Haare fuhr, und streckte aus reiner Gewohnheit die Hand aus, um sich ausgegangene Haare geben zu lassen. Mitten in der Bewegung wurde ihm bewusst, was er tat, und er hielt inne. Es gab ja keinen Teppich mehr, an dem er weiterarbeiten konnte. Er spürte die Erinnerung wie einen brennenden Schmerz in der Brust.
»Es hat keinen Zweck, dass du dir jetzt Vorwürfe machst«, sagte Karvita, die seine Bewegung gesehen hatte. »Davon kommt der Teppich nicht wieder und das Haus auch nicht. Es kann alles Mögliche gewesen sein – ein Funken aus dem Herdfeuer, Glut in der Asche, irgendetwas.«
»Aber was soll ich denn jetzt machen?«, fragte Borlon hilflos.
»Zunächst müssen wir das Haus wieder aufbauen lassen. Und dann fängst du einen neuen Teppich an.«
Borlon hob die Hände und sah auf seine von der jahrelangen Arbeit mit der Knotennadel zerfurchten Fingerspitzen. »Was habe ich nur getan, dass mir das widerfahren muss? Ich bin nicht mehr jung genug, um noch einen vorschriftsmäßig großen Teppich vollenden zu können. Ich habe zwei Frauen mit den wundervollsten Haaren, die das Reich des Kaisers je gesehen hat, und anstatt daraus einen Teppich zu knüpfen, der das Auge des Kaisers entzückt, werde ich nur eine schmale Brücke vollbringen …«
»Borlon, hör jetzt bitte aufzujammern. Du hättest in den Flammen umkommen können, dann hättest du überhaupt nichts beigetragen in deinem Leben.« Jetzt war sie wirklich verärgert. Wahrscheinlich fügte sie deshalb hinzu: »Außerdem hast du ohnehin noch keinen Erben, sodass die Größe des Teppichs nicht so wesentlich ist.«
Ja, dachte Borlon bitter. Auch das habe ich nicht geschafft. Ein Mann mit zwei Frauen, der keine Kinder hatte, konnte niemandem einen Vorwurf machen außer sich selbst.
In den Augen seiner Schwiegermutter glaubte Borlon einen Anflug von Missbilligung, ja Verachtung zu sehen, als die kleine alte Frau den Gildemeister der Haarteppichknüpfer hereinließ.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das tut, Borlon«, sagte der Gildemeister. »Ich war erschüttert, als deine Frau mir berichtete … Seit Menschengedenken ist so ein Unglück nicht mehr passiert!«
Wollte er ihn demütigen? Ihn mit der Nase daraufstoßen, welch ein Versager er, Borlon, war? Er musterte die hagere, hoch gewachsene Gestalt des Gildemeisters, dessen grau melierte Haare so zerzaust waren, wie er den alten Haarteppichknüpfer noch nie gesehen hatte.
Es klang ehrlich. Der alte Mann, sonst immer sachlich und ernst, war wirklich tiefbewegt und voller Anteilnahme.
»Wann ist das geschehen? Letzte Nacht?«, fragte er, während er sich setzte. »Man weiß noch nichts davon in der Stadt …«
»Ich will nicht, dass man es herumerzählt«, sagte Borlon schwerfällig.
»Aber warum denn nicht? Du kannst doch jetzt jede Hilfe brauchen …«
»Ich will
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