Die Haarteppichknüpfer - Roman
es nicht«, beharrte Borlon.
Der Gildemeister sah ihn eine Weile forschend an, dann nickte er verstehend. »Nun ja. Wenigstens weihst du mich ein. Und du bittest um meinen Rat.«
Borlon starrte seine Hand an, die groß und schwer auf der rohen Holzplatte des Tisches lag. Die Adern auf seinem Handrücken pochten fast unmerklich, aber unablässig. Als er anfing zu sprechen, hatte er das Gefühl, gar nicht selber zu sprechen; er hörte sich zu und meinte Karvita mit seiner Stimme reden zu hören. Zuerst stockend, dann, als ein Anfang gemacht war, immer fließender wiederholte er, was sie ihm eingeschärft hatte.
»Es geht um mein Haus, Gildemeister. Es muss wieder aufgebaut werden, ich brauche einen neuen Knüpfrahmen, neue Geräte – ich habe nicht mehr genug Geld dafür. Mein Vater hat für seinen Teppich nur einen sehr schlechten Preis erzielen können, damals …« Auch mein Vater war schon ein Versager gewesen, dachte er. Er hat einen wunderbaren Teppich geknüpft und für einen lausigen Hungerlohn weggegeben. Aber immerhin hat er einen Teppich vollendet – der Sohn des Versagers dagegen …
»Ich weiß.«
»Und?«
»Du denkst an einen langfristigen Kredit …«
»Ja.«
Der alte Haarteppichknüpfer breitete langsam die Hände aus in einer Geste des Bedauerns. »Borlon, bitte bringe mich nicht in Verlegenheit. Du kennst die Statuten der Gilde. Wenn du keinen Sohn hast, kannst du keinen Kredit bekommen.«
Borlon musste gegen das Gefühl ankämpfen, in einem unendlich tiefen, schwarzen Loch zu versinken. »Ich habe keinen Sohn. Ich habe zwei Frauen, und keine gebiert mir ein Kind …«
»Dann liegt es wahrscheinlich nicht an den Frauen.«
Oh ja. Natürlich nicht.
Er starrte den Gildemeister an. Da war etwas, was er jetzt sagen musste, aber er hatte es vergessen. Oder vielleicht gab es auch nichts, was er darauf sagen konnte.
»Sieh mal, Borlon – dieser Kredit würde über hundertzwanzig oder hundertsechzig Jahre laufen. Noch deine Kindeskinder müssten ihn abzahlen. So etwas beschließt man nicht leichten Herzens. Und natürlich braucht die Kasse der Gilde eine gewisse Sicherheit. Wenn es so aussieht, als könntest du keinen Erben zeugen, dann können wir dir keinen langfristigen Kredit geben. Das ist der Sinn dieser Regelung. Und selbst damit gehen wir ein hohes Risiko ein, denn wer weiß, ob dein Sohn wiederum einen Sohn bekommen wird?«
»Und einen kurzfristigen Kredit?«, bat Borlon.
»Wovon willst du ihn zurückzahlen?«, fragte der Gildemeister knapp.
»Ich knüpfe einen neuen Teppich«, versicherte Borlon hastig. »Wenn ich keinen Erben haben sollte, kann ich den Kredit damit zurückzahlen, und wenn ich doch noch einen Sohn bekomme, dann könnte man den Kredit in einen langfristigen umwandeln …«
Der alte Mann seufzte. »Es tut mir leid, Borlon. Es tut mir wirklich leid für dich, denn ich habe dich immer sehr geschätzt, und ich habe den Teppich geliebt, den du geknüpft hast. Aber ich bin auch meinem Amt verpflichtet, und im Moment sehe ich die Dinge, glaube ich, etwas realistischer als du. Erstens bist du nicht mehr der Jüngste, Borlon. Wie groß kann der Teppich noch werden, den du knüpfen kannst, selbst wenn du arbeitest, bis du blind bist? Und ein Teppich, der die vorgeschriebene Größe nicht erreicht, erzielt einen unverhältnismäßig niedrigeren Preis, das weißt du auch. Meistens kann man froh sein, wenn ein Händler ihn überhaupt nimmt. Zweitens – du musst mit einem neuen Knüpfrahmen arbeiten, einem, dessen Holz sich noch setzen muss und der noch nie über Jahrzehnte hinweg unter Spannung stand. Man weiß, und du weißt das auch, dass man auf einem neuen Knüpfrahmen keine solche Qualität erzielen kann wie auf einem alten. Du willst ein Haus bauen, du musst leben – ich sehe nicht, dass du das alles erarbeiten könntest.«
Borlon hörte ungläubig mit an, wie der Gildemeister, den er in guten Tagen seinen Freund genannt und von dem er sich Hilfe erhofft hatte, ihm Schlag auf Schlag versetzte, ohne Erbarmen.
»Aber … was soll ich denn machen?«
Der Gildemeister blickte zu Boden und sagte leise: »Es ist immer wieder vorgekommen, dass die Linie eines Haarteppichknüpfers endet. Manch einer stirbt jung, oder er stirbt ohne Erben – das hat es zu allen Zeiten gegeben. Die Gilde sucht in diesem Fall nach jemandem, der den frei gewordenen Platz einnehmen und eine neue Linie begründen will, sorgt für seine Ausbildung und so weiter …«
»Und gibt ihm
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