Die Haarteppichknüpfer - Roman
Er dachte an die lange Liste der Häuser, die er noch besuchen musste wegen des Schulgelds, und es kam ihm wie Zeitverschwendung vor, hier herumzustehen. Aber er konnte nicht gut einfach gehen.
Der Prediger sah sich mit leidenschaftlich funkelnden Augen um. »Und deshalb muss ich auch von den Ungläubigen sprechen, von den Zweiflern und Ketzern, und ich muss euch, die ihr rechten Glaubens seid, vor ihnen warnen. Der Ungläubige ist wie einer, der eine ansteckende Krankheit hat. Er ist nicht wie ihr, die ihr die Wahrheit manchmal vergesst – das ist menschlich, und es genügt, dass ihr daran erinnert werdet, um euern Glauben zu erneuern. Der Ungläubige hat die Wahrheit nicht einfach vergessen, sondern er kennt sie sehr gut und missachtet sie absichtlich.«
Parnag wurde heiß. Er musste sich anstrengen, ein möglichst unbeteiligtes Gesicht zu bewahren. Ihm war, als spreche der ausgemergelte, bärtige Mann plötzlich nur noch zu ihm.
»Er tut das, weil er sich einen Vorteil davon verspricht, und er erdenkt allerlei listige Zweifel und Argumente, um sich zu rechtfertigen. Und diese Zweifel sind wie Gift für das Herz eines einfachen Menschen, der daran irrewerden kann und dem der Ungläubige damit die Saat des Unglaubens und damit des Verderbens einpflanzt. Ich sage euch, wenn ihr einen Ungläubigen in eurer Gemeinschaft duldet, dann handelt ihr wie einer, in dessen Haus es brennt und der ruhig neben dem Feuer sitzen bleibt.«
Parnag hatte das Gefühl, dass einige der Stadtleute zu ihm herübersahen, ihn misstrauisch musterten. Seine aufrührerischen Fragen waren immer noch nicht vergessen, auch nach zwanzig Jahren nicht. Bestimmt erinnerten sich einige jetzt daran und fragten sich …
Und sie hatten ja Recht. Die Zweifel waren immer noch in ihm, wie eine Verderben bringende Saat, die er nicht auszujäten im Stande war. Er hatte gesehen, wie er andere damit ins Unheil gestürzt hatte, und er selber verharrte in einem Leben, das sich aus konturlosen, grauen Tagen aneinander reihte. Zweifel, einmal entstanden, konnten nicht wieder zum Verschwinden gebracht werden. Er war nicht mehr fähig, bei seinen Handgriffen zu denken: Ich tue dies für den Kaiser. Er konnte nur denken: Gibt es den Kaiser überhaupt?
Wer hatte denn den Kaiser jemals gesehen? Sie wussten nicht einmal, wo er lebte, nur dass es ein sehr weit entfernter Planet sein musste. Natürlich gab es die Fotografien, und das Antlitz des Kaisers war jedem Menschen vertrauter als das seiner Eltern, aber soweit Parnag wusste, hatte der Kaiser noch niemals seinen Fuß auf diesen Planeten gesetzt. Man sagte, dass der Kaiser unsterblich war, dass er schon seit Anbeginn aller Zeit lebte und alle Menschen regierte … Man sagte so vieles und wusste nichts. Wenn man einmal anfing mit dem Zweifeln, dann wurde es zu einem bösen inneren Zwang, immer weiterzumachen.
»Seid gewarnt vor den Stimmen, die Zweifel verkünden und Unglauben. Seid gewarnt davor, ketzerischen Reden euer Ohr zu leihen. Seid gewarnt vor allen, die euch einreden, ihr müsstet die Wahrheit selber herausfinden. Nichts könnte falscher sein! Die Wahrheit ist viel zu groß, um von einem einzigen, schwachen, sterblichen Menschen erfasst zu werden! Nein, einzig in Liebe und Gehorsam für den Kaiser können wir der Wahrheit teilhaftig werden und sicher geleitet werden …«
Der Prediger hielt inne und sah Parnag prüfend an. Parnag erwiderte den Blick, und wie ein jäher Schlag durchzuckte ihn die Erkenntnis, dass er dieses Gesicht kannte! Er kannte den Prediger, von irgendwoher und aus einer so lange zurückliegenden Zeit, dass es ihm im Moment nicht einfiel, woher. Und das plötzliche Erkennen war gegenseitig; Parnag spürte, dass auch der andere ihn erkannt hatte. Parnag sah so etwas wie Panik in dessen dunklen Augen aufflackern, aber nur für einen Augenblick, dann erglühten sie in fanatischem, rachedurstigem Hass.
Ihm wurde unwohl. Woran mochte der zerlumpte Prediger sich erinnern? Er spürte sein Herz rasen, hörte sein Blut in den Ohren pochen. Nur undeutlich bekam er mit, dass der Prediger weitersprach. Forderte er jetzt die Menge auf, ihn zu steinigen? Er konnte nichts verstehen.
Er hatte am Kaiser gezweifelt, und er hatte Unglück über andere gebracht. War er nun selbst an der Reihe? Ereilte ihn nun doch sein Schicksal, aller Reue und Buße zum Trotz?
Parnag flüchtete. Er hörte sich etwas zu seinem Vorzugsschüler sagen, wahrscheinlich, dass dieser dafür sorgen solle, dass alle Kinder
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