Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
Er sah den Himmel, den weiten, leeren Himmel. Ich ergebe mich dir, mein Kaiser, dachte er. Die Steine prasselten jetzt auf ihn nieder. Ja, ich bekenne. Ich habe an dir gezweifelt. Ich bekenne. Ich habe dem Zweifel Raum gegeben, und ich habe nicht mehr von ihm abgelassen. Ich bekenne. In deiner Gerechtigkeit, mein Kaiser, wirst du mich nun vernichten, und ich werde verloren sein. Ich bekenne, und ich ergebe mich deiner Gerechtigkeit …

Der verlorene Haarteppich
    Später konnte er sich nicht mehr erinnern, was ihn geweckt hatte, ob es der Brandgeruch gewesen war oder das Prasseln der Flammen oder irgendetwas anderes. Er fuhr aus dem Bett hoch und schrie, und sein einziger Gedanke war: der Teppich!
    Er schrie es, schrie so laut er konnte, schrie an gegen das wütende Krachen des Feuers, füllte das ganze große Haus mit seiner Stimme.
    »Feuer! Feuer!«
    Er sah nichts mehr als die züngelnden Flammen, den höhnisch zuckenden orangeroten Widerschein auf Wänden und Türen, die geisterhaft entstehenden Rußspuren und den Rauch, der unter der Decke wirbelte und kochte. Die Hände, die ihn halten wollten, schüttelte er ab; die Stimmen, die seinen Namen riefen, hörte er nicht. Er sah nur das Feuer, das das Werk seines Lebens vernichten würde.
    »Borlon, nicht! Rette dich …!«
    Er stürzte vorwärts, ohne sich um seine Frauen zu kümmern. Der Rauch hüllte ihn ein und biss zu, ließ seine Augen tränen und brannte in seiner Lunge. Borlon bekam einen Stofffetzen zu fassen, riss ihn vor das Gesicht. Ein tönerner Krug zerbarst auf dem Boden, er stolperte über Scherben und rannte weiter. Der Teppich. Er musste den Teppich retten. Er musste den Teppich retten oder sterben.
    Das Feuer tobte mit unfassbarer Gewalttätigkeit durch das Haus, wie ein brüllender Sturm, der wütend einen ebenbürtigen Gegner suchte und nicht fand. Borlon erreichte halberstickt den Fuß der Treppe, die zum Knüpfzimmer hinaufführte, gerade als die hölzernen Stufen schwarzgekohlt und funkenstiebend in sich zusammenbrachen. Seine fassungslosen Augen sahen, wie das wilde Ballett der Flammenzungen auf die Balustrade sprang, wo sein Knüpfrahmen stand, und seine Ohren hörten das Geräusch, mit dem die Stützbalken anfingen, langsam nachzugeben, und das klang wie der verzweifelte Schrei eines Kindes – dann übernahm etwas in ihm die Kontrolle, das wusste, dass es zu spät war, und ließ ihn den Rückzug antreten.
    Als er bei seiner Familie ankam, die draußen in sicherer Entfernung stand, ging alles ganz schnell. Sie nahmen ihn zwischen sich, Karvita, seine Frau, und seine Nebenfrau Narana, und er verfolgte mit steinernem Gesicht und ohne etwas zu fühlen, wie das Feuer sich durch das uralte Haus fraß, wie es die Fensterscheiben zerschlug und dann herauszüngelte, als wollte es ihnen höhnisch zuwinken, wie das Dach plötzlich anfing zu leuchten, immer durchscheinender wurde und schließlich zusammenbrach, eine verglühende Wolke von Funken zum Himmel wirbelnd. Wie sanft tanzende Sterne hingen sie da in der Dunkelheit und erloschen nach und nach, während dem Feuer unten die Nahrung ausging und am Ende kaum genug Glut blieb, um in der Dunkelheit etwas Licht zu spenden.
    »Wie konnte das passieren?«, wollte er fragen, aber er konnte es nicht, konnte nur schweigend auf die schwarzgekohlten Mauern starren, und sein Geist weigerte sich, das ganze Ausmaß des Geschehenen zu erfassen.
    Er wäre regungslos gestanden bis zum Morgengrauen, ohne zu wissen, was er nun tun sollte. Es war Karvita, die nach einigem Suchen in den Trümmern die verkohlten Reste der Geldkiste fand und die rußgeschwärzten Münzen in ihrem Kopftuch barg, und es war Karvita, die sie alle drei auf dem beschwerlichen Fußweg durch die beißend kalte Nacht führte, zum Haus ihrer Eltern am Rand der Stadt.
    »Ich bin schuld.« Er sagte es, ohne jemanden anzusehen, den Blick zerquält in eine unbestimmte Ferne gerichtet. Ein unnennbarer Schmerz wühlte in seiner Brust, und irgendetwas in ihm hoffte, die gerechte Strafe schneller und schmerzloser herbeizuführen, indem er sich selbst anklagte und für schuldig erklärte.
    »Unsinn«, versetzte seine Frau bestimmt. »Niemand weiß, wer schuld ist. Und du solltest endlich etwas essen.«
    Der Klang ihrer Stimme tat ihm weh. Er warf ihr von der Seite einen raschen Blick zu, versuchte das stolze Mädchen mit den atemberaubend langen schwarzen Haaren wieder in ihr zu entdecken, in das er sich einmal verliebt hatte. Sie war immer so kühl,

Weitere Kostenlose Bücher