Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
erreicht, in dem ein Haarteppichknüpfer das Haus nicht mehr verlässt. Unter all den Gefühlen, die ihn gerade bewegten, war auch eine ganz starke Enttäuschung: die maßlose Enttäuschung eines Mannes, der ein großes, anstrengendes Wagnis auf sich genommen hat und kurz vor dem Ziel gescheitert ist.
    Er spürte die Strapazen des Tages jetzt auch körperlich: der lange Marsch durch die Nacht und die kurzen Stunden eines unruhigen Schlafes, aus dem er immer wieder hochgefahren war; der Vormittag, als sie alle wieder hinausgewandert waren, um die ausgebrannten Gebeine des Hauses abzuschreiten, ein paar Haushaltsgegenstände aus der Asche zu retten und den Schaden zu ermessen. Borlon griff nach einer Flasche Wein und zwei Bechern. Plötzlich hatte er den beißenden Geruch der Asche wieder in der Nase, und er meinte, den Geschmack von Rauch auf seiner Zunge zu spüren.
    Er stellte Karvita einen Becher hin und einen sich selbst. Dann öffnete er die Flasche. »Komm«, sagte er. »Trink mit mir.«
    Am nächsten Morgen war er früh auf den Beinen, und es zog ihn hinaus auf die Straßen der Stadt. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er seinen beiden Frauen in ein und derselben Nacht beigelegen, und gleichfalls zum ersten Mal in seinem Leben war es ihm dabei nicht gelungen, selber den Höhepunkt zu erreichen, beide Male nicht.
    Mein Leben bricht unter mir weg, dachte er. Stück um Stück verschwindet, das Versagen zieht seine Kreise, und schließlich werde ich verschwunden sein.
    Man beachtete ihn nicht, und das war ihm recht. Es war ein gutes Gefühl, unsichtbar zu sein, nicht gesehen zu werden und keine Spuren zu hinterlassen. Er hatte Angst gehabt, dass es sich schon herumgesprochen haben könnte und dass man ihn anstarren und hinter seinem Rücken tuscheln würde. Aber es gab andere Themen, die die Stadtleute beschäftigten; nach dem, was er aus Gesprächen im Vorübergehen aufschnappte, war am Abend zuvor ein Ketzer gesteinigt worden, auf das Geheiß eines Heiligen Wanderers hin, der seit zwei Tagen in der Stadt war.
    Borlon erinnerte sich an den Ratschlag des Gildemeisters und lenkte seine Schritte zum Marktplatz. Vielleicht war es wirklich eine Frage seines Glaubens. Er hatte schon lange nicht mehr an den Kaiser gedacht, war nur mit seinem Teppich und mit seinen eigenen, nichtigen Sorgen beschäftigt gewesen. Er hatte den Blick für das Große, für das Ganze verloren, und er hätte wohl bis an sein Lebensende so weitergemacht, wenn nichts passiert wäre.
    Vielleicht war der Brand die Strafe dafür. Ich will deinen Teppich nicht, wenn du ihn nicht mit deinem Herzblut und deiner Liebe zu mir verwebst, schien ihm der Kaiser damit zu sagen.
    Seltsamerweise beruhigten ihn diese Gedankengänge. Alles schien nun doch erklärbar, zumindest das. Er hatte gefehlt, und folglich hatte er Strafe verdient. Es war nicht an ihm, darüber zu urteilen; was geschehen war, war zu Recht geschehen, und er hatte es hinzunehmen, ohne zu hadern.
    Der Marktplatz war fast menschenleer. Ein paar Frauen saßen am Rand und boten etwas Gemüse an, ausgebreitet auf zerschlissenen Tüchern, und da kaum jemand etwas kaufen wollte, vertrieben sie sich die Zeit mit Geschnatter. Borlon trat auf eine von ihnen zu, und an ihrem Blick sah er, dass sie ihn nicht erkannte. Er fragte sie nach dem Heiligen Wanderer.
    »Der Prediger? Der ist heute früh schon wieder weitergezogen«, erwiderte sie.
    »Er hat so ergreifend gesprochen«, mischte sich eine andere ein, eine dicke Frau, deren untere Schneidezähne fehlten. »Schade, dass er nur einen Tag da war.«
    »Seltsam, nicht wahr?«, meinte eine dritte mit einer unangenehm keifenden Stimme. »Ich meine, normalerweise wird man diese heiligen Leute doch überhaupt nicht wieder los. Ich finde es seltsam, dass er schon wieder fort ist.«
    »Ja, das ist wahr«, nickte die dicke Frau mit dem löchrigen Gebiss. »Ich habe gestern früh seine Predigt gehört, und er hat ausführlich aufgezählt, über welche Themen er zu uns sprechen wollte.«
    »Wollt Ihr etwas kaufen, Herr?«, fragte die erste Frau Borlon. »Ich habe wunderbar frische Karaqui … oder die Bundwurzeln hier, sehr preisgünstig …«
    »Nein.« Borlon schüttelte den Kopf. »Danke. Ich wollte nur fragen … wegen des Predigers …«
    Alles war dunkel und düster. Das Gericht versammelte sich um ihn, und man ließ nicht zu, dass er sich aus der Verantwortung davonstehlen konnte.
    Die dunklen Fensteröffnungen der Häuser rings um den Marktplatz sahen

Weitere Kostenlose Bücher