Die Haarteppichknüpfer - Roman
Kredit.«
»Wenn er einen Sohn hat, ja.«
Borlon zögerte. »Eine der Frauen … Narana … sie ist vielleicht schwanger …«
Es war eine Lüge, und sie wussten es beide.
»Wenn sie dir einen Sohn gebären sollte, ist der Kredit kein Problem, das kann ich dir versprechen«, sagte der Gildemeister und stand auf.
In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Wir haben sehr viel von Geld geredet, Borlon, und wenig vom Sinn unserer Arbeit. Ich glaube, du solltest in dieser schweren Zeit danach trachten, deinen Glauben zu erneuern. Ein Prediger ist in der Stadt, wie ich gehört habe; vielleicht wäre es eine gute Idee, ihn einmal aufzusuchen.«
Borlon blieb reglos sitzen, nachdem der Gildemeister gegangen war, und brütete dumpf vor sich hin. Es dauerte nicht lange, bis Karvita hereinkam und ihn nach dem Ergebnis der Unterredung fragte. Er schüttelte nur unwillig den Kopf.
»Sie wollen mir nichts leihen, weil ich keinen Sohn habe«, erklärte er schließlich, als sie nicht lockerließ.
»Dann lass es uns versuchen«, sagte sie sofort. »Ich bin noch nicht zu alt, um Kinder zu bekommen.« Zögernd setzte sie hinzu: »Und Narana erst recht nicht.«
Warum war das alles so? Warum musste das alles so sein? Ein ganzes Leben an einen einzigen Teppich zu verwenden …
»Und wenn es trotzdem nichts wird? Karvita, warum sind wir schon so lange zusammen und haben keine Kinder?«
Sie sah ihn forschend an, während ihre Hände mit einer Strähne ihres langen blauschwarzen Haares spielten. »Dein Sohn«, sagte sie dann bedächtig, »muss lediglich von einer deiner Frauen geboren werden. Es ist dagegen nicht nötig, dass … du ihn auch zeugst!«
Was wagte sie ihm da vorzuschlagen? Mittellos und vom Schicksal gezeichnet sollte er sich nun auch noch entehren lassen?
»Es müsste natürlich mit größter Diskretion geschehen …«, fuhr seine Frau in ihren Überlegungen fort.
»Karvita!«
Sie sah in seine Augen und hielt erschrocken inne. »Entschuldige, es war nur eine Idee. Weiter nichts.«
»Hast du noch mehr solche Ideen?«
Sie schwieg. Nach einer Weile und nachdem sie ihm einen vorsichtigen Blick zugeworfen hatte, meinte sie: »Wenn die Gilde dir nicht hilft – vielleicht hast du Freunde, die dir etwas leihen. Wir könnten einige der wohlhabenderen Haarteppichknüpfer fragen. Benegoran zum Beispiel, der hat doch viel mehr Geld, als er und seine Familie jemals ausgeben können.«
»Benegoran gibt nichts her. Deswegen ist er so reich – weil er nichts hergibt.«
»Ich kenne eine seiner Frauen gut. Über sie könnte ich einmal unauffällig fragen.«
Borlon sah sie an, wie sie da in der Tür stand, und plötzlich konnte er das junge Mädchen in ihr wieder sehen, und er erinnerte sich an einen anderen Spätnachmittag vor vielen Jahren, als sie genauso in dieser Tür gestanden hatte. Die Erinnerung jagte ihm einen Stich durchs Herz. Sie war ihm immer eine gute Gefährtin gewesen, und er verabscheute sich für alle Momente, in denen er ihr Unrecht getan oder sie schlecht behandelt hatte.
Er stand auf, eigentlich, um sie in seine Arme zu schließen, aber dann wandte er sich doch ab und trat ans Fenster.
»Ja«, sagte er. »Aber ich möchte nicht, dass es gleich die ganze Stadt erfährt.«
»Früher oder später werden wir es nicht mehr verheimlichen können.«
Borlon dachte an die einsamen Wohnsitze der Haarteppichknüpfer in den Schluchten und Tälern der Berge rings um die Stadt. Wahrscheinlich gab es weit und breit keinen Punkt, von dem aus man zwei dieser Landsitze auf einmal hätte sehen können. Wären sie alle in den Flammen umgekommen, es hätte lange gedauert, bis man es in der Stadt bemerkt hätte.
Wahrscheinlich würde es eine der fahrenden Händlerinnen sein, die die verkohlte Ruine antreffen und diese Nachricht weitertragen würde.
»Wenn, dann lieber später. Wenn wir wissen, wie es mit uns weitergehen wird.«
Die Sonne stand schon wieder tief am Horizont. Borlon konnte das Stadttor sehen und ein paar alte Frauen, die schwatzend darunter standen. Ein älterer Mann eilte zur Stadt hinaus; er kam Borlon bekannt vor, aber er wusste ihn momentan nicht einzuordnen. Erst als er schon nicht mehr zu sehen war, fiel ihm ein, dass es der Lehrer gewesen war. Früher war er ab und zu gekommen und hatte nach Kindern gefragt, aber schon seit vielen Jahren nicht mehr, und Borlon hatte inzwischen sogar seinen Namen vergessen.
Ich kenne die Leute in der Stadt nicht mehr, dachte er. Er hatte schon das Stadium
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