Die Haarteppichknüpfer - Roman
Stadtoberenhauses führen. Während er mit hundertfach geübten Bewegungen seine Gerätschaften auf einem großen Tisch aufbaute, beobachtete er schweigend, wie der Alte einen rostigen Schlüssel hervornestelte und den großen, eisenbeschlagenen Schrank öffnete, in dem die Steuerhauptbücher verwahrt wurden.
»Bringt mir auch gleich die Änderungen«, verfügte Kremman, nachdem der Stadtobere ihm das versiegelte Hauptbuch auf den Tisch gelegt hatte.
»Ich lasse sie Euch sofort bringen«, murmelte der Mann.
Kremman lächelte gehässig, während der Stadtobere zur Tür hinausschlurfte. Er hatte wohl geglaubt, ihn von seiner Arbeit ablenken zu können mit irgendwelchen Geschichten. Und jetzt war er enttäuscht, weil es nicht geklappt hatte.
Er würde sie kriegen. Irgendwann kriegte er alle.
Dann machte er sich an die Arbeit. Zunächst galt es zu prüfen, ob das Siegel des Steuerbuches von Yahannochia wirklich unversehrt war. Kremman tastete die Siegelbänder ab, die das Buch umschlangen; sie waren unverletzt. Blieb das Siegel selber. Er wog es prüfend in der Hand, betrachtete es kritisch. Er hatte in seinem Leben schon tausende von Siegeln gebrochen und angebracht, und doch war dies stets ein Punkt, an dem er innehielt und es sich nicht gestattete, in Routine zu verfallen. Das Siegel des Steuerbuches war der sensibelste Punkt des Systems. Sollte es ihnen je gelingen, ein Siegel zu fälschen, ohne dass er es merkte, dann hatten sie ihn. Wenn das bekannt wurde, kostete ihn das seinen Kopf. Und wenn es nicht bekannt wurde, dann konnten sie ihn erpressen bis ans Ende seiner Tage.
Der Jüngling, der ihm das Fenster geöffnet hatte – wahrscheinlich der Stadtdiener –, kam herein und brachte das Änderungsbuch der Stadt. Kremman bedeutete ihm mit einem ungnädigen Kopfnicken, es auf den Tisch zu legen, und als er die Neugier des anderen bemerkte, starrte er ihn so giftig an, dass der es vorzog, so rasch wie möglich wieder zu verschwinden. Er konnte hierbei keine Zuschauer gebrauchen.
Behutsam stülpte Kremman seinen Siegelstempel über das Wachsstück. Zu seiner Beruhigung passte er. Auch eine eingehende Untersuchung mit einer starken Lupe ließ ihn keine Unregelmäßigkeiten finden.
Sie würden es nicht wagen. Sie hatten nicht vergessen, dass er es gewesen war, der als junger Steuererheber in der Dreistromstadt das gefälschte Steuersiegel entdeckt hatte. Sie hatten nicht vergessen, mit welcher Härte er die ganze Stadt neu geschätzt und zusätzlich mit einer Strafsteuer belegt hatte, dass den Stadtleuten die Tränen in die Augen getreten waren.
Blieb der letzte Test. Nach einem kurzen Blick zur Tür, um sicherzugehen, dass ihm wirklich niemand zusah, nahm er ein kleines Messer zur Hand und begann, das Siegelbild behutsam abzukratzen. Das war das Geheimnis, das unentdeckt blieb, wenn jemand das Siegel einfach brach oder abschmolz: Unter dem ersten Siegelbild gab es ein zweites, das nur geschickte, erfahrene Finger wieder zum Vorschein bringen konnten. Kremman schabte mit unendlicher Vorsicht, bis ihm eine unmerkliche Verfärbung im Siegelwachs die Trennschicht anzeigte. Nun noch ein kleiner Dreh mit dem Messer, den zu erlernen ihn Jahre gekostet hatte, und die obere Wachsschicht platzte sauber ab. Da war das geheime Siegel, ein winziges Signet, das nur die kaiserlichen Steuererheber kannten. Kremman lächelte befriedigt, griff nach einer Kerze und schmolz damit das Siegel vollends ab. Das Wachs ließ er in eine kleine eiserne Schale tropfen; wenn alles vorbei war, würde er daraus wieder ein neues Siegel verfertigen.
Dann schlug er das Buch auf. Dieser Moment elektrisierte ihn, seit er denken konnte; dieser Moment der Macht. In diesem Buch waren die Habseligkeiten aller Stadtleute verzeichnet, die Reichtümer der Reichen und der karge Besitz der Armen; in diesem Buch entschied er mit einem Federstrich über Not oder Wohlergehen einer ganzen Stadt. Beinahe zärtlich wendete er die vor Alter knisternden Blätter, und sein Blick streichelte die welken Seiten voller uralter Eintragungen, voller Zahlen, Unterschriften und Stempel. Die Stadtoberen mochten ihre Prachtmäntel zur Schau tragen und sich vor den Leuten aufplustern – mit diesem Buch und seinem Recht darin zu schreiben war er es, der die wahre Macht in Händen hielt.
Er konnte sich kaum losreißen. Mit einem kaum hörbaren Seufzer nahm er das andere Buch zur Hand, das Änderungsbuch der Stadt. Das fühlte sich gleich viel gewöhnlicher an, geradezu
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