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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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er ihn. Kremman sah ihn schlucken und mit wild aufgerissenen Augen auf dem Boden hin und her schauen, als sei die Antwort dort irgendwo zu finden. Dabei murmelte er etwas Unverständliches.
    »Was hast du gesagt?«, beharrte Kremman mit grausamer Genugtuung. »Ich habe dich nicht verstanden.«
    »Ich sagte, ich weiß es noch nicht.«
    Kremman musterte ihn, wie man ein widerliches Insekt mustert. »Du kennst die Stadtleute auf dieser Liste?«
    »Ja.«
    »Was hältst du davon, heute noch bei jedem Einzelnen vorbeizugehen und ihm Bescheid zu sagen?«
    Der Jüngling nickte verkrampft, wagte es aber nicht, ihm in die Augen zu sehen. »Ja. Ja, das werde ich tun.«
    »Wie ist dein Name?«
    »Bumug.«
    Kremman reichte ihm die Liste. »Du bist nachmittags dran.«
    »Nachmittags?« Jetzt sah er den Steuererheber wieder an, verwirrt. »Ich? Was heißt das?«
    Kremman lächelte sardonisch. »Du stehst natürlich auch auf der Liste, Bumug.«
    Wie jedes Mal bezog der kaiserliche Steuererheber das Gästequartier des Stadtoberenhauses. Bei der Ausstattung dieses Quartiers und der Verpflegung dieses Gastes fand sich jede Stadt, die er aufsuchte, in einem Konflikt wieder. Einerseits war man ängstlich bestrebt, es ihm an keiner Annehmlichkeit fehlen zu lassen, um nicht seinen Unmut zu erregen, andererseits wollte man ihn nicht auf die Idee bringen, es mit einer wohlhabenden Stadt zu tun zu haben.
    Zu seinem Glück siegte meistens das Bedürfnis nach Bestechung, auch hier in Yahannochia. Er fand ein sauberes Zimmer vor, ein Bett, das eines Königs würdig gewesen wäre, und einen überaus reichhaltig gedeckten Tisch. Er legte das Steuerhauptbuch unter das Kopfkissen, ehe er sich an den Tisch setzte. Solange das Buch nicht wieder versiegelt war, würde er es keinen Moment lang aus den Augen lassen.
    Als er am nächsten Morgen, das Buch unter den Arm geklemmt, zum Stadtoberenhaus hinüberging, stand bereits eine lange Schlange ergeben Wartender davor. Kremman holte tief Luft und verfiel in einen besonders harten, entschlossenen Schritt, um jede Schwäche in sich zu vertreiben, jeden Anflug von Mitleid, Gutmütigkeit oder anderer Gefühlsregungen, die einem Steuererheber nicht gut anstanden. Ein anstrengender Tag wartete auf ihn, ein Tag, an dem er sich von morgens bis abends erbarmungswürdige Geschichten würde anhören müssen, und er durfte sich keinen Augenblick der Unachtsamkeit, keinen Moment des Nachgebens erlauben, ohne seine Aufgabe zu verraten, seine heilige Aufgabe der Erhebung von Steuern für den Kaiser.
    So schritt er an der Reihe der Stadtleute vorbei, ohne sie eines näheren Blickes zu würdigen, nahm an dem vorbereiteten Tisch Platz, auf dem bereits jemand Schreibzeug und einen Krug Wasser bereitgestellt hatte, schlug das Steuerhauptbuch auf und rief dann den ersten Namen auf seiner Liste auf. »Garubad!«
    Ein stämmiger Mann mit wettergegerbtem Gesicht und grauem Haar trat vor, ein Ausbund schierer Körperkraft, ganz in abgeschabtes Leder gekleidet. »Das bin ich.«
    »Du bist Viehzüchter?«
    »Ja.«
    »Welche Art Vieh züchtest du?«
    »Keppo-Schafe hauptsächlich. Außerdem habe ich einige Baraq-Büffel.«
    Kremman nickte. All das stand auch so in seinem Hauptbuch. Der Mann machte einen aufrechten, gottesfürchtigen Eindruck; kein schwieriger Fall. »Wie viele Keppos? Wie viele Baraqs?«
    »Zwölfhundert Keppos und sieben Baraqs.«
    Kremman konsultierte sein Buch. »Das heißt, die Anzahl deiner Schafe hat um den vierten Teil zugenommen; die Anzahl der Baraqs ist gleich geblieben. Ich erhöhe deine Steuer also in dem gleichen Maße. Hast du dagegen irgendwelche Einwände?«
    Der Viehzüchter schüttelte den Kopf. »Nein. Ich gebe es für den Kaiser.«
    »Ich nehme es für den Kaiser«, erwiderte Kremman die traditionelle Formel und trug einen entsprechenden Vermerk ein. »Danke, du kannst gehen.«
    Das war ein guter Anfang gewesen. Der Steuererheber liebte es, wenn ein Schätztag auf diese Weise begann. Er verließ sich auch hier auf seinen Instinkt, der ihm sagen würde, wann er jemanden auf seine Stichprobenliste setzen musste und wann er ihm glauben konnte.
    Es wurde ein arbeitsreicher, aber alles in allem ein erfreulicher Tag. Natürlich gab es die üblichen herzzerreißenden Klagen über verdorbene Ernten, verendetes Vieh, gestorbene Kinder und davongelaufene Männer, aber nicht so oft wie sonst, und manche der Geschichten glaubte Kremman sogar. In einem ihn selbst überraschenden Anflug von Milde verfügte er

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