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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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es kostete ihn eine beinahe körperliche Überwindung, sich zu zügeln.
    Schließlich klopfte es an der Tür. Tertujak öffnete rasch den Wagenschlag, und zwei Soldaten brachten den Gefangenen herein. Sie ketteten ihn an einem Stützpfosten fest, worauf der Händler sie mit einem kurzen Nicken entließ.
    Dann betrachtete er den Mann, der jetzt da auf einem seiner wertvollsten Felle saß. Das also war der Ketzer. Seine Kleider waren zu schmutzigen Lumpen zerrissen, sein wirrer Bart und seine verfilzten Haare starrten gleichfalls vor Dreck. Die Musterung durch den Händler ließ er mit stumpfem, gleichgültigem Blick über sich ergehen, als interessiere ihn nicht mehr, was mit ihm geschah.
    »Du fragst dich vielleicht, warum ich dich habe herbringen lassen«, begann Tertujak schließlich.
    Er glaubte zu sehen, wie ein Funken Interesse in den apathischen Augen des Gefangenen aufglomm.
    »Die Wahrheit ist, ich weiß es selbst nicht genau.« Tertujak dachte an die Silhouette des Faustfelsens vor dem dunkelblauen Abendhimmel. »Vielleicht, weil wir morgen die Hafenstadt, unser Ziel, zum ersten Mal sehen werden. Und ich möchte dich nicht einfach an den Hafenrat ausliefern, ohne erfahren zu haben, wen ich da eigentlich transportiert habe.«
    Der Mann stierte ihn nach wie vor ausdruckslos an.
    »Wie heißt du?«, fragte Tertujak.
    Endlose Zeit schien zu vergehen, ehe der Gefangene antwortete. Seine Stimme war ein staubiges Krächzen. »Nillian … Nillian Jegetar Cuain.«
    »Das sind drei Namen«, stellte der Händler verwundert fest.
    »Jeder bei uns hat drei Namen.« Der Mann hustete. »Wir tragen unseren Geburtsnamen, den Mutternamen und den Vaternamen.«
    In der Art, wie der Ketzer sprach, war tatsächlich ein fremdartiger Klang, den der Händler noch niemals gehört hatte auf seinen Reisen.
    »Dann stimmt es also, dass du von einer anderen Welt kommst?«
    »Ja.«
    »Und wieso bist du hier?«
    »Ich bin hier gestrandet.«
    »Wo ist deine Heimatwelt?«
    »Weit weg.«
    »Kannst du sie mir am Himmel zeigen?«
    Der Gefangene starrte Tertujak lange an, sodass der Händler schon glaubte, er habe die Frage nicht verstanden. Doch dann fragte er plötzlich: »Was weißt du über andere Welten? Was weißt du über Reisen zwischen den Sternen?«
    Der Händler zuckte die Schultern. »Nicht viel.«
    »Was weißt du?«
    »Ich kenne die Sternenschiffe der kaiserlichen Flotte, die die Haarteppiche an Bord nehmen. Man hat mir gesagt, dass sie zwischen den Sternen reisen können.«
    Der verwahrloste Mann, der von sich behauptete, von den Sternen zu kommen, schien wieder lebendig zu werden.
    »Die Haarteppiche«, wiederholte er und beugte sich nach vorn, stützte die Ellbogen auf die Knie. »Wohin werden sie gebracht?«
    »Zum Palast des Kaisers.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es gar nicht«, gab Tertujak zu. »Man hat es mir gesagt.«
    Der Mann, der sich Nillian nannte, nickte, und Tertujak sah etwas Sand aus seinem Haar zu Boden rieseln. Er würde den Raum morgen reinigen lassen müssen. »Man hat dich belogen. Im Palast des Kaisers gibt es keinen Haarteppich. Nicht einen einzigen.«
    Tertujak kniff misstrauisch die Augen zusammen. Von einem, den man für einen Ketzer hielt, war eine solche Behauptung zu erwarten gewesen. Aber was, wenn er kein Ketzer war? »Woher weißt du das?«, fragte er.
    »Ich war dort.«
    »Im kaiserlichen Palast?«
    »Ja.«
    »Vielleicht sind dir die Haarteppiche nicht aufgefallen.«
    Zum ersten Mal lachte der Fremde. »Das ist unmöglich. Ich habe einen Haarteppich gesehen: Das war das filigranste, aufwändigste Kunstwerk, das ich jemals im Leben zu Gesicht bekommen habe. Ein solches Kunstwerk wäre nicht unentdeckt geblieben. Und wir reden hier ja nicht von einem Haarteppich, wir reden von tausenden und abertausenden. Aber nicht ein Einziger davon ist im Palast zu finden. Unsere Sprache hat nicht einmal ein Wort dafür!«
    Konnte das wahr sein? Und wenn es eine Lüge war – was bezweckte der Mann damit?
    »Man sagt«, begann Tertujak, »der Palast des Kaisers sei das größte Gebäude des Universums …«
    Der Mann überlegte kurz. »Ja, das stimmt wahrscheinlich. Aber es ist deswegen nicht unübersichtlich. In jeder eurer Städte kann man sich leichter verstecken als im gesamten Sternenpalast.«
    »Aber es gibt doch sicher private Räume des Kaisers, die niemandem sonst zugänglich sind?«
    »Die gab es einmal.« Die Gestalt des Fremden straffte sich. »Ich sitze hier, weil ich das gesagt habe, also

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