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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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kann ich es ruhig wiederholen: Der Kaiser hat vor ungefähr zwanzig Jahren eurer Zeit aufgehört zu regieren.«
    Tertujak starrte den Mann an, wie er da saß mit Ketten an Händen und Füßen, zerlumpt und verdreckt, und wusste, dass er nicht log. Natürlich war diese Behauptung blanke Ketzerei. Aber er spürte tief in sich eine Gewissheit, dass das, was der Fremde erzählte, nichts als die Wahrheit war.
    »Dann stimmen also die Gerüchte, die hier seit zwei Jahrzehnten kursieren«, murmelte er bedächtig. »Dass der Kaiser abgedankt hat …?«
    »Nun, ich würde sagen, diese Gerüchte sind sehr geschmeichelt.«
    »Wie meinst du das?«
    Der Blick des Gefangenen war plötzlich von stählerner Härte. »Mein Herr, ich bin ein Rebell, und ich war zeit meines Lebens ein Mitglied der Bewegung Lautloser Wind. Vor zwanzig Jahren haben wir die Zentralwelt angegriffen, den Palast erobert und den Kaiser gestürzt. Seither gibt es kein Kaiserreich mehr. Das mag euch gefallen oder auch nicht, aber es ist eine Tatsache.«
    Der Haarteppichhändler betrachtete den Fremden unsicher. Das, was er sagte, schien ihm den Boden unter den Füßen wegziehen zu wollen.
    Er wies mit einer vagen Geste zum Fenster. »Da draußen sehe ich die Sterne am Himmel, und sie leuchten noch. Man hat mir immer gesagt, dass sie das nicht könnten ohne den Kaiser.«
    »Der Kaiser hat damit nichts zu tun«, versetzte der Rebell. »Das ist eine Legende.«
    »Aber hat nicht der Kaiser sie ins Leben gerufen?«
    »Das konnte er ebenso wenig, wie ich es könnte. Er war ein Mensch wie jeder andere. Man hat euch das alles nur erzählt, um Macht über euch zu haben.«
    Tertujak schüttelte den Kopf. »Aber stimmt es denn nicht, dass er seit ungezählten Jahrtausenden herrscht? Wie kann er das, ohne unsterblich zu sein?«
    Der Fremde hob nur die Augenbrauen. »Nun, wie auch immer er das angestellt hat, jetzt ist er jedenfalls tot.«
    »Tot?«
    »Tot. Ein Rebell hat ihn während der Besetzung des Palastes in einem abgelegenen Raum gestellt und im Zweikampf erschossen.«
    Tertujak fiel wieder ein, was man ihm über die Umstände der Verhaftung des Fremden erzählt hatte. Er war bei zwei Haarteppichknüpfern zu Gast gewesen und hatte plötzlich angefangen, gotteslästerliche Reden zu führen, worauf ihn die beiden verhaftet und der Ketzerei angeklagt hatten.
    »Das hast du den Haarteppichknüpfern erzählt?«, staunte er. »Ein Wunder, dass sie dich am Leben gelassen haben.«
    »Einen Schlag auf den Schädel haben sie mir gegeben – ein Wunder, dass ich ihn überlebt habe«, knurrte der Gefangene. »Der eine der beiden fragte mich ganz begierig aus, und der andere schlich sich währenddessen von hinten an und – zack! Als ich wieder erwachte, lag ich in einem Verlies und war in Ketten.«
    Tertujak begann, unruhig auf und ab zu gehen. »Du sagst, es gibt im kaiserlichen Palast keine Haarteppiche. Andererseits sehe ich, dass Jahr für Jahr zehntausende von Haarteppichen diesen Planeten verlassen. Wohin bringen die kaiserlichen Schiffer sie, wenn nicht zum Palast?«
    Der Fremde nickte. »Ich habe schon gemerkt, dass das die interessanteste Frage überhaupt ist. Und ich habe nicht den Hauch einer Antwort.«
    »Vielleicht reden wir nicht von demselben Kaiser?«
    »Wir reden von diesem Mann«, sagte der Gefangene und deutete auf die Fotografie des Kaisers, die an der Wand hing. Tertujak hatte das Bild von seinem Vater geerbt, der es wiederum von seinem Vater geerbt hatte, und so weiter. »Kaiser Aleksandr der Elfte.«
    »Kaiser Aleksandr?« Tertujak war, eigentlich zum ersten Mal an diesem Abend, wirklich verblüfft. »Ich wusste gar nicht, dass er einen Namen hat.«
    »Das ist auch in Vergessenheit geraten. Er war der elfte einer Reihe von Kaisern, die alle Aleksandr hießen. Die ersten zehn sind auch ziemlich alt geworden, aber er allein hat länger regiert als die anderen alle zusammen. Und seine Machtübernahme ist schon so unermesslich lange her, dass es einem vorkommt, als habe er von Anbeginn der Zeit an regiert.«
    »Ja.« Tertujak schüttelte den Kopf, dann nahm er seine unruhige Wanderung wieder auf. Der Fremde beobachtete ihn schweigend.
    War es das? War das die Erklärung? Die Erklärung für die schwindende Zahl von Haarteppichen?
    Er setzte sich wieder auf seine Sitzbank.
    »Das, was du sagst«, gestand er, »löst einen Widerhall in mir aus. Aber gleichzeitig kann ich es nicht fassen. Verstehst du das? Ich vermag es nicht, mir vorzustellen, der Kaiser könne

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