Die Haarteppichknüpfer - Roman
wirklich geglaubt – nun nimm die Strafe dafür!
Tertujak hob das Foto des toten Kaisers auf und reichte es dem Gefangenen.
»Hast du keine Waffe?«, fragte der und zerrte unruhig an seinen Ketten.
»Ich habe Soldaten.«
»Das scheint nicht viel zu nützen.«
Ja, dachte Tertujak. Und das wäre das Ende.
Die Kampfgeräusche kamen immer näher, wildes Gebrüll und die Hiebe von Stahl auf Stahl. Ein markerschütternder Schrei gellte, und etwas schlug gegen den Wagen, das sich anhörte wie ein menschlicher Körper. Die zerrissenen Überreste seiner dünnen Halskette entschlüpften den schreckensstarren Fingern des Händlers, fielen zu Boden und versanken zwischen den Fellen.
Einen schrecklichen Augenblick lang war alles still. Dann wurde der Wagenschlag aufgerissen, und im Schein einer rußenden Fackel sahen sie in geschwärzte, blutverschmierte Gesichter.
»Seid gegrüßt, Händler Tertujak«, dröhnte der vorderste Mann höhnisch, ein bärtiger Riese, über dessen Stirn sich eine knotige Narbe zog. »Und entschuldigt bitte, dass wir Euch so spät am Abend noch behelligen müssen …«
Er schwang sich ins Wageninnere, gefolgt von drei Spießgesellen. Das höhnische Grinsen verschwand aus seinem Gesicht, als koste es ihn zu viel Anstrengung. Er würdigte den Gefangenen nur eines beiläufigen Blickes, dann deutete er auf den Haarteppichhändler.
»Durchsucht ihn!«, befahl er.
Die Männer stürzten sich auf den Händler, rissen seine Kleider auf und durchwühlten sie, zerrten an ihm herum, bis ihm fast alles in Fetzen vom Leib hing, fanden aber nicht, was sie suchten.
»Nichts.«
Der Anführer trat auf den Händler zu und sah ihn scharf an. »Wo ist der Schlüssel zum Haarteppichwagen?«
Tertujak schluckte. »Den habe ich nicht.«
»Erzähl mir keine Märchen, Fettsack.«
»Einer meiner Männer hat ihn.«
Der Bärtige lachte ungläubig auf. »Einer deiner Männer?«
»Ja. Ein Soldat, dem ich vollkommen vertraue. Ich habe ihn angewiesen zu flüchten, falls wir überfallen werden.«
»Verdammt!« Der Anführer schlug ihm unbeherrscht ins Gesicht, sodass sein Kopf zur Seite flog. Der Schlag spaltete Tertujaks Unterlippe, aber der Händler gab keinen Laut von sich.
Die anderen Männer wurden unruhig. »Was machen wir jetzt?«
»Wir nehmen den ganzen Wagen mit«, schlug einer vor, ein untersetzter Mann, dessen rechter Arm von Blut verkrustet war, das nicht sein eigenes zu sein schien. »Irgendwie kriegen wir ihn schon auf …«
»Blödsinn!«, herrschte ihn der Bärtige an. »Warum, glaubst du, ist der Wagen gepanzert? Das geht nicht. Wir brauchen den Schlüssel.«
Die Räuber sahen einander an. Von draußen war immer noch vereinzelt Kampflärm zu hören.
»Wir könnten bei Tagesanbruch die ganze Umgebung absuchen«, meinte ein anderer. »Ein Mann ohne Reittier kann schließlich nicht weit kommen.«
»Woher weißt du, dass er kein Reittier hat?«, fragte der Untersetzte.
»Das hätten wir doch bemerkt …«
»Seid ruhig!«, befahl der Anführer mit einer barschen Handbewegung und wandte sich wieder dem Haarteppichhändler zu, von dessen Unterlippe Blut tropfte. »Ich glaube das nicht«, sagte er gefährlich leise. »Ich glaube nicht, dass ein Händler den Schlüssel zu seinem Haarteppichwagen aus der Hand gibt.« Er sah Tertujak forschend an. »Öffne deinen Mund.«
Der Händler reagierte nicht.
»Ich sage, du sollst den Mund aufmachen!«, herrschte ihn der bärtige Riese an.
»Warum?«, fragte Tertujak.
»Weil ich glaube, dass du uns hereinlegen willst.« Er packte das Kinn des Händlers mit einem plötzlichen, brutalen Handgriff und zwang ihn, den Mund zu öffnen.
»Ich sehe da ein paar frische Wunden in deinem Rachen«, verkündete er und blickte den Händler mitleidig an. »Ich glaube nicht an deinen Soldaten. Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, du hast den Schlüssel verschluckt!«
Die Augen des Händlers wurden unnatürlich weit. Er war nicht mehr im Stande, etwas zu sagen, und sein Blick war ein einziges Geständnis.
»Na?«, säuselte der Räuber. »Habe ich nicht Recht?«
Tertujak würgte keuchend.
»Ja«, brachte er hervor.
Jeder Schimmer menschlichen Erbarmens schwand plötzlich aus den Augen des Bärtigen, während er nach hinten griff und ein Messer mit einer großen, scharfen Klinge aus dem Gürtel zog.
»Das hättest du nicht tun sollen«, sagte er leise. »Das hättest du wirklich nicht tun sollen.«
Flötenfinger
Die schmale Gasse schlief noch. Dünner
Weitere Kostenlose Bücher