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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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tot sein. Er scheint irgendwie in mir drinnen zu sein, ein Teil von mir.«
    »Das ist eine Vorstellung vom Kaiser als einem übermenschlichen Wesen, die deine Erziehung geschaffen hat, denn du hast den Kaiser ja niemals gesehen.« Der Fremde machte sich an seinem Gürtel zu schaffen, so gut das seine Ketten zuließen. »Ich habe ein Bild bei mir, das ich eigentlich verborgen halten wollte, bis mir irgendwann einmal so etwas wie ein Prozess gemacht wird …«
    Er förderte eine Fotografie zu Tage, die er dem Haarteppichhändler reichte. Tertujak betrachtete das Bild. Es zeigte in Übelkeit erregender Deutlichkeit den Leichnam eines Mannes, der an den Beinen an einem Fahnenmast aufgehängt worden war und kopfüber nach unten baumelte. Durch seine Brust ging ein mehr als faustgroßes Loch, dessen Ränder wie von Feuer versengt waren.
    Als er das Bild herumdrehte, um das Gesicht des Toten genauer in Augenschein zu nehmen, durchfuhr es ihn wie ein Blitzschlag, dass er meinte, es müsse ihm auf der Stelle das Herz stehen bleiben: Er kannte dieses Gesicht, kannte es besser als sein eigenes! Der Tote war tatsächlich der Kaiser!
    Mit einem unartikulierten Stöhnen warf er das Foto von sich und sank zurück in die Kissen auf seinem Sitz. Das war unmöglich. Das war … Er griff wieder nach dem Bild, vergewisserte sich. Der Kaiser. Tot. Tot in seiner Paradeuniform, den Kaisermantel um die Schultern, würdelos an einem Fahnenmast aufgehängt.
    »Du fühlst dich jetzt, als hätte dir jemand mit einem Hammer vor die Stirn geschlagen«, drang die Stimme des Rebellen wie aus weiter Ferne zu ihm. »Falls es dich tröstet: Du bist nicht der Erste, dem es so geht. Diese Fotografie ist wahrscheinlich heute eines der verbreitetsten Bilder aller Zeiten, und es ist unser wichtigstes Hilfsmittel, um die Menschen aus dem Würgegriff ihrer Fixierung auf den Kaiser als Gottheit zu befreien.«
    Tertujak hörte ihn kaum. Hinter seiner Stirn war ein Gefühl wie kochendes Wasser. Sein Geist arbeitete mit wahnwitziger Geschwindigkeit, raste alle Bilder der Erinnerung durch, versuchte sie neu zu sehen und einzuordnen: Alles, alles musste neu verstanden werden. Nichts von dem galt mehr, was immer gegolten hatte.
    Was redete dieser Fremde da unentwegt? Er verstand ihn nicht. Er sah nur dieses Bild und versuchte die Wahrheit in ihrem ganzen Ausmaß zu fassen: Der Kaiser war tot.
    »… Lärm da draußen?«
    »Was?« Tertujak löste sich aus dem Strudel seiner Gedanken und Gefühle wie aus einem Albtraum. Jetzt hörte er es auch. Von draußen drangen laute Geräusche herein, Rufe und Schreie und das Schlagen von Metall auf Metall. Es klang gefährlich.
    Mit einem Satz war der Haarteppichhändler auf den Beinen und an der Tür, riss den Wagenschlag auf und streckte den Kopf hinaus. Er sah Fackeln, rennende Leute, Schatten und die dunklen Umrisse von Reittieren, die quer durch das Lager preschten. Kampfgeräusche. Er schlug die Tür wieder zu und tastete mit seiner fleischigen Pranke nach der dünnen Kette, die er um den Hals trug.
    Alles zerbricht, dachte er.
    »Was ist los?«, fragte der Fremde.
    »Räuber«, hörte sich der Händler mit unnatürlicher Ruhe sagen. »Sie überfallen das Lager.«
    »Räuber?«
    »Haarteppichräuber.« Er hatte also doch Recht gehabt mit seinen unguten Vorahnungen. Natürlich. Hier, kurz vor dem einzigen Pass über das schier endlose Zarrak-Gebirge, hier war die ideale Stelle für einen Hinterhalt.
    »Du meinst, sie wollen die Haarteppiche stehlen?«
    Tertujak nickte.
    »Aber was hätte das für einen Sinn? Was fangen Wüstenräuber mit Haarteppichen an?«
    »Sie verkaufen sie an andere Haarteppichhändler«, erklärte Tertujak hastig, während sein Verstand fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser Katastrophe suchte. »Es gibt eine seit ewigen Zeiten festgesetzte Zahl von Teppichen, die ein Haarteppichhändler vorweisen muss, wenn er von einer Route zurückkehrt in die Hafenstadt. Kann einer diese Zahl nicht erfüllen, dann fordert der Ehrenkodex der Händler, dass er sich selbst entleibt.«
    »Und die Räuber verkaufen die erbeuteten Haarteppiche an andere Händler, die mit ihren Zahlen Schwierigkeiten haben, aber am Leben hängen?«, mutmaßte der Rebell, dessen Augen jetzt hellwach glänzten.
    »Genau.«
    Ein Gedanke krallte sich plötzlich in den Nacken des Haarteppichhändlers, eine uralte, staubige Stimme, die sagte: Du hast dem Ketzer Gehör geschenkt, und er hat dich verführt. Du hast ihm geglaubt, du hast ihm

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