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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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außen liegenden Flöten abgedeckt waren, während die Löcher auf der mittleren Flöte frei lagen.
    »Gut. Probiere nun die neunte Übung. Sie enthält bereits eine kurze zweistimmige Stelle, hier. Du hebst an dieser Stelle die beiden untersten Finger ab, sodass die beiden äußeren Flöten freigegeben werden, während du auf der inneren Flöte die Löcher mit den untersten Fingergliedern abgedeckt hältst. Probiere es.«
    Er war zu unduldsam heute, trotz aller Beherrschung. Sie gab sich wirklich Mühe, und wenn sie ihre Quirligkeit einmal vergaß, gelangen ihr ganz annehmbare Passagen.
    »Halt, halt. Dieses Zeichen meint, dass du mit der Zunge die Blasöffnungen von zwei Flöten abdeckst und nur in eine bläst, bis hierher. Noch einmal, und achte auf den Unterschied.«
    Am Schluss der Unterrichtsstunde war sie ganz glücklich, die neue Übung einigermaßen gemeistert zu haben, und Opur war erleichtert, dass es endlich überstanden war. Es gelang ihm, sie ohne weitere langatmige Konversation zu verabschieden.
    Danach eilte er sofort hinunter in den Keller, um nach Piwano zu sehen.
    Der Junge saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt und verzehrte heißhungrig, was er an Essbarem in dem Versteck vorgefunden hatte. Er schien noch nicht lange wach zu sein, aber er sah wesentlich besser aus als heute früh. Als Opur die Geheimtür öffnete, lächelte er glücklich.
    »Erzähl mir alles«, forderte der alte Mann. »Der Reihe nach.«
    Piwano legte das Brot beiseite und erzählte. Von der harten Ausbildung, die er hatte durchlaufen müssen, von der rauen, grobschlächtigen Umgebung, in der er an Bord der kaiserlichen Raumschiffe hatte leben müssen. Von fremden, unwirtlichen Welten, von knochenzehrender Arbeit, von Krankheiten und von gehässigen Attacken der anderen Schiffer.
    »Sie haben mich fortgejagt, wenn ich spielte, und ich versteckte mich in den Maschinenhallen, um zu spielen«, berichtete er mit bebender Stimme. »Dann zerbrachen sie meine Flöte, und als ich versuchte, mir eine zu bauen, zerbrachen sie auch die.«
    Ein stählerner Ring schien sich um Opurs Brust zu legen, während er der Geschichte des Jungen zuhörte.
    »Du hast dich in große Gefahr begeben, Piwano«, gab er ernst zu bedenken. »Du bist aus dem Dienst für den Kaiser geflohen. Darauf steht die Todesstrafe!«
    »Meister, ich kann kein Schiffer sein!«, rief Piwano. »Ich kann so nicht leben. Wenn ich nur so leben darf, dann will ich lieber sterben. Es ist nicht der Dienst für den Kaiser; natürlich liebe ich den Kaiser, aber …« Er hielt inne.
    »Aber noch mehr liebst du die Flöte, nicht wahr?«
    Piwano nickte. »Ja.«
    Opur schwieg nachdenklich. Er wusste nicht, was richtig und was falsch war. Er selbst war alt; um sich selbst fürchtete er nicht, was auch geschehen mochte. Er fürchtete nur um den Jungen.
    Die Desertion war eine schwerwiegende Sache, so weit kannte er die Gesetze der kaiserlichen Schiffer. Selbst wenn Piwano sich freiwillig stellen würde, hatte er mit einer schweren Strafe zu rechnen, wahrscheinlich mit einem mehrjährigen Strafdienst auf einem unerschlossenen Planeten. Und für einen zerbrechlichen, empfindsamen Jungen wie Piwano war das gleichbedeutend mit einem Todesurteil.
    »Meister, kann ich wieder eine Flöte haben?«, fragte Piwano.
    Opur sah ihn an. In den Augen des Jungen schimmerte immer noch jener Glanz der absoluten, unbedingten Hingabe an etwas, das größer war als er selbst; jener Glanz, den der alte Flötenmeister schon in den Augen des Achtjährigen entdeckt hatte.
    »Komm«, sagte er.
    Sie stiegen hinauf in den Unterrichtsraum. Piwano sah sich mit leuchtenden Augen um, als er wieder in dem großen Raum stand, in dem er viele Jahre seiner Kindheit zugebracht hatte; es war, als erfülle ihn eine unsichtbare Kraft mit neuem Leben.
    Opur ging zu den Fenstern, die auf die Gasse hinausführten, und vergewisserte sich, dass keine Soldaten der Gilde zu sehen waren. Dann winkte er den Jungen zu sich.
    »Piwano, ich bin bereit, dich zu verstecken, notfalls auch jahrelang«, erklärte er ernst. »Aber du darfst das Haus niemals verlassen, selbst wenn es draußen unverdächtig aussehen sollte – niemals. Die Gilde hat verkleidete Kundschafter, und man weiß nie, wer alles in ihrem Sold steht. Und du solltest dich möglichst auch von den Fenstern fernhalten. Du kannst unten in deinem Versteck Flöte spielen; zumindest am Tage hört man davon nichts auf der Straße. Ist das abgemacht?«
    Piwano nickte.
    »Falls du

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