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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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manchmal beschlich ihn der Verdacht, dass er bei den Konzerten, die er selbst veranstaltete, die verschwenderische Pracht des damaligen Tages zu kopieren versuchte und doch nicht mehr zustande brachte als die Parodie eines Festes.
    Wie es üblich war, sprach der Flötenmeister einige Worte zu Beginn, fasste das vergangene Jahr zusammen und erläuterte ein paar der Stücke, die auf dem Programm standen. Dann begannen die jüngsten Anfänger mit ihren Darbietungen – eine Vorgehensweise, die sich bewährt hatte, da sie am meisten unter Lampenfieber litten und man sie nicht zu lange warten lassen durfte.
    Der Anfang war zäh. Der erste Schüler vergaß eine Wiederholung, kam aus dem Takt, als es ihm einfiel, und wurde dann immer schneller und schneller, um es hinter sich zu bringen. Es gab einige nachsichtig lächelnde Gesichter, und er erhielt trotzdem Applaus, als er sich mit hochrotem Kopf verneigte. Die zweite Schülerin, eine ältere Frau, überraschte selbst Opur mit einer ungewohnten Flüssigkeit ihres Vortrages; offenbar hatte sie diesmal wirklich geübt. Und allmählich wurde das Konzert geschmeidig, manchmal sogar richtig gut, und Opur spürte eine Anspannung allmählich von sich abfallen, die ihn die letzten Tage nicht hatte loslassen wollen.
    Dann fing Piwano an zu spielen.
    In dem Augenblick, als er seine Dreiflöte an die Lippen setzte und den ersten Ton blies, ging ein Rucken durch die Zuhörer. Plötzlich war Elektrizität im Raum. Köpfe sahen hoch, und Rücken strafften sich, wie von unsichtbaren Fäden aufgerichtet. In dem Augenblick, als der erste Ton aus seiner Flöte drang, war klar, dass hier ein Stern aufging. Ringsum waren Grautöne, hier war Farbe. Ringsum war gelungene Anstrengung, hier war mühelose Vollkommenheit. Es war, als risse eine Wolkendecke auf, und ein Strahl blanken Lichts bräche herab.
    Piwano spielte das PAU-NO-KAO, ein leichtes mehrstimmiges Stück, das auch einer der anderen Schüler bereits gespielt hatte. Er spielte nichts anderes als die anderen vor ihm – aber wie er es spielte!
    Selbst Opur, der ihn unendlich schwierigere Sachen hatte spielen hören und der die denkbar höchste Meinung von ihm hatte, war wie gebannt. Es war eine Offenbarung. Mit diesem einfachen Stück schien der schmächtige blonde Junge endgültig über sich hinauszuwachsen, wie in einem Quantensprung eine neue Ebene des Dreiflötenspiels zu erreichen. Mit diesem einfachen Stück deklassierte er alle anderen neben sich, verwies sie auf ihre Plätze und stellte ein für alle Mal klar, wer in diesem Raum ein Anfänger war und wer ein Meister. Niemand würde sich danach an irgendeines der anderen Stücke erinnern und jeder sich an dieses.
    Seine Finger tanzten so unbeschwert und leicht über die Flöten, wie andere atmen oder reden, lachen oder lieben. Er begnügte sich nicht mit der Mehrstimmigkeit des Stücks, sondern nutzte es aus, dass ein und derselbe Ton auf der Metallflöte eine andere Färbung hatte als auf der Holzflöte, vertauschte Töne zwischen den Flöten und schuf so unterschwellige, gegenläufige Bewegungen; er spielte mit der Tendenz der Glasflöte, in scharfen Diskant überzukippen, wenn sie zu stark angeblasen wurde, um manchen Passagen eine Dramatik zu verleihen, die niemals zuvor jemand so zu Gehör gebracht hatte.
    Die anderen spielten ihre Dreiflöten – dieser Mann wurde eins mit ihr, war vollkommen selbstvergessen, völlige Hingabe.
    Die meisten der Zuhörer erkannten nicht, was er eigentlich machte, aber jeder spürte, dass hier etwas Unerhörtes vor sich ging, dass sie hier in diesem kleinen ärmlichen Raum gerade einen Blick in eine vergessene, wunderbare Welt taten. Gott war hier. Gott geschah. Er tanzte in einer Musik, wie sie Menschen seit Jahrtausenden nicht mehr gehört hatten, und jeder hielt den Atem an.
    Und als es vorbei war und Piwano mit entrücktem Lächeln den Beifall entgegennahm, griff die Angst nach Opur.
    Sie kamen zwei Tage später, kurz vor Sonnenaufgang. Ohne Vorwarnung traten sie die Haustür ein, und ehe Opur sich noch von seinem Nachtlager erhoben hatte, war das ganze Haus schon voller Soldaten, barscher Befehle und knallender Stiefel.
    Ein schwarzbärtiger Hüne in der ledernen Uniform der Gildepatrouille trat auf den Flötenmeister zu.
    »Seid Ihr Opur?«, fragte er herrisch.
    »Ja.«
    »Ihr steht im Verdacht, einen entflohenen Schiffer des Kaisers zu verstecken.«
    Obwohl alles in ihm zitterte, begegnete er dem Blick des Soldaten mit wagemutiger

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