Die Haarteppichknüpfer - Roman
Kühle. »Ich weiß von keinem Schiffer«, erklärte er.
»So?« Der Bärtige kniff ein Auge zusammen, um ihn aus dem anderen böse zu mustern. »Nun, wir werden ja sehen. Meine Männer durchsuchen das Haus.«
Dagegen konnte er nichts einwenden. Opur konzentrierte alle Kraft darauf, seine Haltung zu bewahren und möglichst unbeteiligt zu wirken. Vielleicht hatten sie Glück.
Aber sie hatten kein Glück. Zwei Soldaten brachten einen verschreckten Piwano die Treppe herauf und präsentierten ihn dem triumphierend lachenden Kommandanten.
»Na also«, rief der. »Verlader Piwano, dritte Ladegruppe der KARA. Früher oder später kriegen wir sie alle. Und alle, alle bereuen es.«
Der Flötenmeister trat vor den Patrouillekommandanten und sank auf die Knie.
»Ich bitte Euch, habt Erbarmen«, flehte er. »Er ist ein schlechter Schiffer, aber ein guter Flötenspieler. Seine Gabe in diesem Leben sind nicht die starken Schultern eines kaiserlichen Schiffers, sondern seine Flötenfinger …«
Der Kommandant blickte abfällig auf den alten Mann hinunter. »Wenn ihn seine Flötenfinger bei seinem Dienst für den Kaiser, unseren Herrn, behindern, dann ist es unsere Pflicht, ihm zu helfen«, höhnte er und packte Piwanos rechte Hand, um sie grob auf das Treppengeländer zu zwingen. Dann griff er nach seinem schweren Holzknüppel.
Jähes Entsetzen durchfuhr Opur, als er erkannte, dass der Mann vorhatte, Piwano die Finger zu brechen. Ohne zu überlegen fuhr er hoch und rammte dem Soldaten mit aller, durch die Angst um Piwano vervielfachten Kraft in den Bauch. Der Kommandant, der mit nichts weniger gerechnet hatte als mit einem körperlichen Angriff des greisen Flötenmeisters, klappte mit einem keuchenden Laut zusammen, stolperte und fiel. Piwano kam frei.
» Lauf!«
Piwano bewegte sich plötzlich mit einer wieselflinken Behändigkeit, die Opur noch nie an seinem verträumten Zögling bemerkt hatte, von dessen Flötenspiel einmal abgesehen. Der Junge sprang mit einem kühnen Satz über die Brüstung des Treppengeländers in die Tiefe, ehe einer der Soldaten reagiert hatte.
Opur raffte sich auf und stürzte zum Fenster, riss es auf und griff nach dem Kasten, der seine eigene Flöte enthielt. Unten stürzte Piwano gerade aus dem Haus heraus.
»Meister Piwano!«, rief Opur und warf ihm den Kasten hinab.
Piwano hielt inne, fing den Kasten auf und warf seinem Meister ein letztes, unvernünftig verschmitztes Lächeln zu. Dann spurtete er los und verschwand in der breiten Tür der Wäscherei.
Die Soldaten waren ihm schon auf den Fersen. Vor der Wäscherei hielten sie inne, einer gab Befehle, und sie teilten sich, rannten davon, um die benachbarten Gassen abzuriegeln, in der Hoffnung, den Flüchtenden auf diese Weise einzukesseln.
Opur spürte die schwere Hand eines Soldaten auf seiner Schulter und schloss ergeben die Augen. Das Licht war bewahrt worden und weitergegeben an die nächste Generation. Mehr hatte er nicht tun können.
Der Archivar des Kaisers
Früher einmal war dies sein Reich gewesen. Früher, als der Kaiser noch gelebt hatte. Damals hatte hier Stille geherrscht in den großen marmornen Hallen, die die Zeugnisse der ruhmreichen Geschichte des Kaiserreiches bargen, und er hatte keinen Laut anhören müssen außer dem Schlurfen seiner eigenen Schritte und dem Geräusch seines eigenen Atems. Hier hatte er seine Tage verbracht, seine Jahre, war alt geworden im Dienst für den Kaiser.
Die Sternstunden, wenn der Kaiser selbst gekommen war, zu ihm, in das Archiv, das er für den Gottgleichen hütete! Weit hatte er immer die riesigen stählernen Tore auffahren, hell alle Lampen aufflammen lassen, um dann auf der untersten Stufe der halbrunden Treppe zu warten, bis der Wagen des Kaisers vorfuhr. Und dann hatte er bescheiden in der Vorhalle gestanden, etwas abseits neben einer der Säulen, den Blick demütig zu Boden gerichtet, und sein höchster Lohn war es, wenn der Kaiser vorbeischritt und ihm hoheitsvoll zunickte, ganz leicht nur, aber vor all den anderen. Ihm, dem Buckligen. Ihm, Emparak, seinem treuesten Diener. Ihm, der das Reich besser kannte als jeder andere Sterbliche.
Doch dann waren die neuen Herren gekommen und hatten ihn zum Dienstboten degradiert, zum rechtlosen Verwalter einer unliebsamen Hinterlassenschaft, gerade gut genug, den kostbaren Marmor zu polieren, die gläsernen Abdeckungen zu reinigen und aufgebrauchte Leuchtelemente auszuwechseln. Wie er sie hasste! Beauftragte des Provisorischen Rates zur
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