Die Habenichtse: Roman (German Edition)
aufdringlich, aber ihn fror. Die Kälte wich nicht. Hisham hatte ihn hinunterbegleitet, wortlos und höflich, zum Abschied fast etwas gesagt, in seinen Augen etwas wie Mitleid. Vielleicht hatte auch er die Katze unweit der Türschwelle liegen sehen, ausgeblutet, als hätte jemand ihre Wunde neuerlich aufgerissen.
Jim fragte sich nicht, ob man ihm folgte, mit der U-Bahn war er bis nach King’s Cross gefahren, hatte die Pentonville Road überquert und war bis zur Field Street gegangen, ohne auf die zu achten, die auf der Straße herumlungerten, aus den Augenwinkeln hatte er eine junge Frau bemerkt. Jünger als Mae. Was Albert ihm an Stoff mitgegeben hatte, würde sich in Camden leicht verkaufen lassen. Am Kanal war ihm ein Fuchs begegnet, der ohne Scheu an ihm vorbeischnürte, durch eine Zaunlücke in eine Brache am Kanal verschwand. Das war schon auf der Camden Street gewesen. Kurz hatte er gezögert, überlegt, ein Taxi anzuhalten, die Schmerzen im Arm waren kaum zu ertragen.
Zu Hause suchte er nach Schmerzmitteln, fand nur eine leere Packung. Im Wohnzimmer lagen leere Bierdosen, Kleider, schmutzige Unterwäsche. Mit der rechten Hand sammelte er Socken auf. Stieß eine Bierdose um. Wischte, was nicht gleich in den Teppich einsickerte, mit einem T-Shirt auf. Er mußte das Fenster öffnen, lüften. Blumen kaufen, dachte er höhnisch.
Als er am nächsten Mittag mit einer Tasche sauberer Wäsche vom Waschsalon zurückkam und den Blumenstand neben Kentish Town Station passierte, blieb er stehen, kaufte ein paar Nelken und eine Lilie, die nur ein Pfund kostete. Eine Vase fand er nicht. Hielt in der Hand die Lilie, die Nelken fanden in einem Bierglas Platz, er roch an der weißen Blüte, mochte nicht, was er roch. Die Blüte welkte schon. Er wusch das Geschirr, räumte Bier in den Kühlschrank, Toastbrot und Käse, Eier, ein Paket mit Schinken.
Den letzten Nachmittag hatten Mae und er in dem Zimmer in der Field Street verbracht. Sie hatten sich gestritten. Es war komisch mit der Erinnerung, immer schien sie irgendwo zu warten und tauchte doch nie auf.
Vor seinem Fenster sah er ein kleines Mädchen, das sich nach etwas bückte, die Haare, dunkel und strähnig vom Regen, fielen ihr ins Gesicht. Sie ging zögernd ein paar Schritte, dann blieb sie stehen, es war, als wüßte sie nicht, wohin. Er beobachtete sie aufmerksam. Sie trug nur einen dünnen, grünen Sweater, der ihr zu weit war, die Ärmel verdeckten ihre Hände, das Gesicht wirkte blaß und spitz. Anscheinend hielt sie nach jemandem Ausschau, reckte den Kopf, stellte sich sogar auf die Zehenspitzen, aber niemand kam, und schließlich verschwand sie. Jim ärgerte sich darüber, als hätte sie etwas mitgenommen, was ihm gehörte.
Abends, als er hinausging, um einen Teil des Stoffs zu verkaufen, war er noch immer schlecht gelaunt. Kein gutes Vorzeichen, dachte er und bekreuzigte sich abergläubisch.
Am nächsten Mittag sah er an den Stationen von Kentish Town die Zettel mit der Aufschrift Vermißt und Maes Foto.
18
Jakob händigte ihr eine Liste mit Möbeln aus, die ihm seine Tante Fini zugeschickt hatte, Möbel seiner Großeltern und Großtanten; Isabelle mußte nur ankreuzen, was sie nach London mitnehmen wollte. Die ursprüngliche Liste, in Sütterlin geschrieben, konnte Isabelle nicht entziffern, Jakob fertigte eine Reinschrift für sie an, die allerdings kürzer ausfiel als das Original, denn die Anmerkungen zu Vorbesitzern, Farbe und Zustand der Politur berücksichtigte Jakob nicht. Die Möbel würden, mit Besteck, Geschirr und Bettwäsche, in Frankfurt verladen und nach London geschickt und dort von Jakob in Empfang genommen werden. –Du mußt dich, sagte Jakob, um nichts kümmern.
Sie brachte ihn zum Flughafen, durch die Scheiben konnte sie ihn hinter den Sicherheitskontrollen mit seiner Zeitung sehen, das Glas spiegelte, er sah sich suchend um und fand sie nicht.
Am nächsten Tag stand Maude in der Tür der Kanzlei und begrüßte Jakob an Benthams statt. Bei ihr im Zimmer saß Annie, die Sekretärin Alistairs, die auch Jakobs Post erledigen würde, ein dickliches Geschöpf mit einer Stupsnase, Mister Krapohl bot, beständig schniefend und ein wenig schielend, seine Dienste an, hielt ein winzig beschriebenes Blatt in der Hand, auf dem Buchbestellungen notiert waren, um fünf Uhr klopfte Maude an Jakobs Tür im dritten Stock und brachte ihm Tee und Scones. Durch die Fenster hörte Jakob das gleichmäßige Rauschen des Februarregens.
–Wir gehen noch
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