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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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Besteck zu Pfützen, schwemmte Krümel an die Tischkante. Hisham blieb sitzen. Jim spürte, wie sich sein Gesicht verzog, der Mund. –Nicht, sagte Hisham. Immer gab es Lärm, Lärm, der durch den Türspalt drang, Lärm der Autos, all die Autos, all die Menschen, die sich durch die Straßen drängten, all die Angst, und das Gedränge in den Bahnhöfen und Flughäfen, dies Gedränge, das dazu zwang stillzuhalten, abzuwarten, ruhelos und unglücklich, und jederzeit konnte etwas geschehen, konnten die Stimmen wieder laut werden, die Schlafenden aufwachen, das, was man vergessen hatte, wieder auftauchen. Ein kalter Windstoß traf ihn, die Tür bewegte sich, und Jim grinste, weil wie in einer kitschigen Fernsehserie eine junge Frau zögernd, abwartend davorstand, er schloß die Augen und dachte, Hisham habe Mae für ihn gefunden. Aber da war nur kalte Zugluft, die Bitterkeit, Zorn, dieser hilflose, wühlende Schmerz. Hisham saß immer noch ruhig da, sah ihn bloß an, der Junge und sein kleiner Bruder liefen herbei, mit Lappen, griffen sich die durchnäßten Servietten, lachten, klaubten Olivenkerne und Oliven aus dem Wasser, brachten frische Servietten, weitere Teller, noch einmal Brotfladen, der größere trug eine Platte auf, Spieße mit gegrilltem Fleisch und Zwiebeln und Tomaten, der kleinere zupfte Jim am Ärmel. –Die Brüder meiner Frau, sagte Hisham, es waren acht Kinder. Er rief etwas. Wieder zwängte kalter Wind sich durch die Tür, ein Paar trat ein, Touristen, dachte Jim, ihr Eintreten demütigte ihn, der noch immer ungeschickt am Tisch stand, ungeschickt die Hände auf halber Höhe hielt, über seinen Hüften, in der Luft, und diese Hände waren wie erstarrt, umgeben von unsichtbarem Eis oder gefrorener Luft. Das Paar, nach einem kurzen Blick auf die beiden Männer, setzte sich, der kleine Junge rannte wieder herbei, stand genau vor Jim, den Kopf in den Nacken gelegt, hob das Gesicht zu ihm und zog dann aus ihrem eisigen Gefängnis Jims rechte Hand, um sie zwischen seinen so viel kleineren Händen zu halten, als wollte er sie wärmen. Dann ließ er sie los, wie einen Ball, der davonhüpfen würde oder einen Vogel, der ängstlich gewartet hatte zu entkommen. Jim fand sich ihm gegenüber, lächelnd, verlegen, aber er setzte sich und fing an zu essen, während Hisham geschickt die letzten Fleischstücke von den Spießen löste.

    Ruhig floß der Verkehr durch die Edgeware Road, und Jim ging zu Fuß bis zur Marylebone Road, er wollte nicht mit dem Bus oder der U-Bahn fahren, eine hübsche Strecke zu Fuß, und er rieb eine Hand in der anderen, bewegte die Finger, um sie aufzuwärmen, regnerisch und trüb war der Nachmittag, als wäre wieder Herbst, als steuerte man noch einmal auf ein Ende von etwas zu. Gereizt drängten sich die Passanten an den Ampeln, liefen gedrängt über die Fahrbahn. Ein korpulenter Herr stieß gegen Jim, drehte sich, merkwürdig schwerelos, ganz zu ihm und verharrte, als er Jims Gesicht sah. Hupend fuhr ein Taxi auf die beiden zu. –Jeder scheint so ungeduldig, nach Hause zu kommen, sagte der Mann. Sie entschuldigen mich, nicht wahr? Oder wünschen Sie irgendeine Satisfaktion? Noch einmal hupte das Taxi, und der Mann neigte höflich den Kopf, winkte dem Fahrer und ging weiter. Andere schoben sich dazwischen, Köpfe, Köpfe, darüber Schirme, noch war der Eingang zum Park geöffnet, in der Tasche des Anoraks fühlte Jim den Nylonbeutel, ein Polizeiauto verlangsamte, stellte das Blaulicht an, aber er war unsichtbar, tauchte in den dämmrigen Park, in dem nur einzelne Jogger noch ihre Bahnen zogen, Frühling, dachte er, und Mae hatte behauptet, daß das Ende immer höflich war, daß man immerhin doch beerdigt würde. Auch wenn es eine Schande war, wenn niemand dem Sarg folgte, mit Blumen in der Hand und bedauernden Reden. Sie redete zu oft über den Tod. Sie hätte Hisham gemocht, dachte Jim, seine höfliche Art, und ihn ausgelacht, weil er so mißtrauisch war, immer mißtrauisch. Fast war es, als würde sie ihn zu Hause erwarten. Man konnte sich derlei ausmalen, es kostete nichts. Sie war von Anfang an ein bißchen abwesend und unaufmerksam gewesen, er hatte sie geschüttelt, wenn er nicht wußte, ob sie betrunken war oder bekifft oder eben nur unaufmerksam, schwer zu sagen bei ihr, das glatte Gesicht fast ohne Ausdruck, wie aus einem Film herausgeschnitten oder aus einem Foto, so, als wäre er nicht wichtig und sie auch nicht und Albert nicht. Niemand. Wenn du verloren bist, mußt du

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