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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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getroffen. –Aber ich will dir helfen, sagte Isabelle ärgerlich. Sara fing an zu weinen, Isabelle beobachtete sie verblüfft, ein lautloses, stoßhaftes Weinen. Vorsichtig setzte Isabelle Polly ab, schaute sich um. Auf der Terrasse stand ein umgestürzter Tisch, die Beine ragten waagrecht ins Leere. Der verwahrloste Garten diente nur dazu auszusortieren, was man nicht länger brauchte, was kaputt war. Eine Amsel landete auf der Mauer, schüttelte das Gefieder, tirilierte. Von irgendwoher roch es nach Fäulnis. Ein paar Meter entfernt wartete ihr Arbeitszimmer, ihr Computer, ihre schöne, saubere Wohnung. Das Kind weinte, die Katze strich an ihren Beinen entlang, schnurrend. –Was hast du mit ihr gemacht? fragte Isabelle. Sie ist verletzt.
    Aber anscheinend war es nur eine Platzwunde, das Blut trocknete schon. –Nun komm schon, es ist nicht so schlimm, sagte Isabelle ungeduldig. Sie nahm die Terrasse, den Garten noch einmal in Augenschein. Es könnte überall sein, dachte sie, in Bosnien, in Bagdad, es war immer die Gegenseite ihres eigenen Lebens. Als wäre das Maß Leid festgesetzt, nur die Verteilung offen. Schüchtern richtete Sara sich aus der Hocke auf, streckte ihre Hand nach Polly aus, um sie zu streicheln, aber die Katze sprang mit einem Satz zur Seite. –Du hast sie geschlagen, sagte Isabelle kalt, was erwartest du? Das Mädchen hob den Kopf, sah Isabelle an, ihre Augen waren jetzt grau, herausfordernd, –es ist meine Katze, sagte sie trotzig. Sie stand auf, sie stellte sich dicht vor Isabelle, schuldbeladen, bereit, sich zu verteidigen, zwiespältig, dachte Isabelle und fühlte sich herausgefordert, abgestoßen. Zielstrebig wandte sie sich der Mauer zu, die Amsel flog auf, Sara und die Katze wichen nicht von ihrer Seite. Es wäre ein leichtes, dem Kind heraufzuhelfen, und da war das Mädchen schon, dicht neben ihr, atmend, säuerlich riechend, beide Arme nach oben gereckt. Aber Isabelle hob die Katze auf, setzte das Tier oben ab und fing an, nach Halt für sich selbst zu suchen, nach einer Lücke oder einem Vorsprung für ihre Füße, und da die Mauer auf dieser Seite mangelhafter gebaut oder nie ausgebessert worden war, fand sie, wonach sie suchte, rutschte mit den Händen wiederholt von den nassen Ziegeln ab, stützte sich schließlich an dem Baumstamm ab. Der Stoff ihrer Bluse zerriß. Oben, auf dem Mauersims sitzend, schaute sie nach dem Mädchen. Es unternahm keinen Versuch, ihr zu folgen. Mit sprachlosem Entsetzen starrte es Isabelle an, alles Kindliche war aus seinem Gesicht verschwunden, es gab nur noch Ausweglosigkeit und Leid darin; Isabelle mußte lachen. Ein paar Worte würden genügen, Sara zu beschwichtigen, sie könnte ihr die Hand entgegenstrecken und sie ebenfalls hinaufziehen, zu der Katze, die schnurrte, was für ein albernes Schauspiel, dachte Isabelle, wie idiotisch, sich einzumischen. Entschlossen sprang sie in ihren eigenen Garten hinunter, faßte mit beiden Händen die Katze und setzte sie in das Gras, das hier frischer aussah und angenehm roch. Die Tür zu ihrem Wohn- und Arbeitszimmer stand offen, ihr Leben, von außen betrachtet, wirkte geordnet und einladend, unberührt, dem Anschein nach, wie ein Geburtstagspäckchen, das auszupacken man noch keine Lust verspürt hatte. Es lag aber bereit. Die Katze rieb ihren Kopf an Isabelles Wade, miaute. Man könnte, fuhr es Isabelle durch den Kopf, sie genauso wieder auf die Mauer heben, auf die Seite hinunterstoßen. Alles war zweideutig. Hatte sie dem Mädchen geholfen, wie es ihre Absicht gewesen war? Später würde sie durch die zu dünnen Wände den Geräuschen aus der benachbarten Wohnung lauschen und wissen, was dort geschah, beinahe so, als wäre sie beteiligt. Sie war sich sicher, daß Sara alleine nicht wieder in die Wohnung kommen würde, die Tür war geschlossen gewesen und hatte bestimmt ein Schnappschloß. Zwei oder drei Stunden, dachte Isabelle, bis Saras Eltern nach Hause kamen. Bis Jakob aus dem Büro kam. Sie hob die Katze auf, das plumpe Ding, das sich schwer machte, unsicher, was als nächstes geschehen würde, nachdem sie gerade erst in einen fremden Garten geschwebt war. Zurücksetzen, auf die andere Seite – was hatte sie nur gemacht, fragte sich Isabelle. Das Tier schien ihre Gedanken mühelos zu lesen, wenn auch die Anspannung fast unmerklich war, eine winzige Verschiebung der Beine und des Kopfes, es bereitete sich darauf vor, fallengelassen zu werden. Dann erschlaffte der warme Körper wieder, als sei Polly

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