Die Händlerin von Babylon
Nacht nicht«, rief sie.
Enttäuschte Proteste.
»Verschwindet!«
Die Schritte entfernten sich über den Korridor.
Sie schnippte eine Kakerlake von der Waage - sie wog fast eine halbe Mina - und setzte sich auf. Schon wieder klopfte es. »Heute Nacht nicht mehr!«
Guli streckte den Kopf herein.
»Mein Honigsüßer!« Sofort setzte sie sich auf und krabbelte über das Bett zu ihm hin. »Was ist dir denn passiert?«
Er trat ein. »Sagen wir einfach, ich glaube nicht an die Götter.«
Ulu blickte zu den mit Schlamm verstrichenen Palmwedeln des Daches auf. »Wie kannst du an ihnen zweifeln?«
»Jedenfalls glaube ich nicht, dass wir ihnen etwas bedeuten«, sagte er.
Sein Gesicht war zu Brei geschlagen. Die Lippe aufgeplatzt, ein Auge zugeschwollen, das andere dunkel wie rohes Fleisch auf dem Markt. Eine Zahnlücke teilte sein Lächeln in zwei Hälften. Seine großen Hände waren mit blauen Flecken bedeckt, die Knöchel aufgeplatzt.
»Niemand hat behauptet, dass wir ihnen etwas bedeuten«, wandte sie ein. »Trotzdem sind sie unsere Herren.« Guli ließ sich mit schmerzverzogenem Gesicht auf die Bettkante sinken und verbarg sein Gesicht an ihrem Busen. »Ist das Vizas
Werk?«, fragte sie, wobei sie ihm behutsam über den Kopf streichelte.
»Aber ja, Viza, genau.«
»Der Laden?«
»In Schutt und Asche.« Sein heißer Atem brannte sich in einem Seufzer durch ihr Wollkleid. »Alles, was ich gekauft habe, um all das zu ersetzen, was sie mir beim letzten Mal kaputt gemacht haben. Ich kann dir dein Geld nicht zurückzahlen -«
»Psst«, flüsterte sie und wiegte ihn dabei hin und her. »Hast du für die nächste Zeit eine Unterkunft?«
Seine Arme schlangen sich um ihren Rücken, und er drückte sie fest an sich. »Ich brauche keine.«
»Was soll das heißen? Guli, wie meinst du das?« Er antwortete nicht, darum strich sie sein Haar zur Seite, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Mach keine Dummheiten.«
»Ich habe bald eine Unterkunft«, sagte er.
»Nein! Hast du nicht selbst gesagt, dass es nichts bringen würde, wenn du dich verkaufst?«
»Was bleibt mir denn anderes übrig?«
»Arbeite als Gärtner«, schlug sie vor.
Er löste sich von ihr. »Ich hasse Gartenarbeit.«
»Dabei bist du so begabt.«
»Ich will Friseur bleiben!«
»Offenbar haben die Götter etwas anderes mit dir im Sinn.«
Er richtete sich auf und kehrte ihr den Rücken zu. »Na ja, ich wollte es dir nur gesagt haben, falls du bei mir vorbeikommst. Viza hat mir das Haus abgenommen.«
»Warte doch, Guli. Es muss doch eine Möglichkeit geben -«
»Ich könnte ihn umbringen«, schlug er vor.
»Dann kämst du wieder vor Gericht.«
»Ningal würde mich liebend gern aufknüpfen lassen«, sagte er.
Ulu erstarrte. Sie wusste nichts über Gulis Leben, bevor sie ihm begegnet war, doch sie wusste, dass ein Richter ihn streng verwarnt hatte, nachdem er zweimal wegen eines Gewaltverbrechens verurteilt worden war. Ein dritter Fehltritt, und man würde Guli hinrichten lassen. »Richter Ningal?« Er wohnte in ihrer Straße.
»Ja.« Wie ein Ochse stand er vor ihr und schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe nichts gegen Viza in der Hand, sie haben alle Dokumente zerstört.«
»Und was ist mit den öffentlichen Akten?«
»Natürlich habe ich jeweils eine Abschrift unterschrieben, aber seit ich Vizas Geschäftsmethoden kenne, bezweifle ich, dass sie je im Archiv gelandet sind.«
»Möchtest du heute Nacht bei mir bleiben?«, fragte sie.
Er schaute sich in dem gemieteten Zimmer um, und ihr war klar, dass er das Ungeziefer sah, die Spuckeflecken und die anderen Spritzer auf den Matten. Sie hatte sich nicht mal abgespült. Guli war reinlich, doch nicht, weil er wie Ezzi nach Höherem strebte, sondern weil er einen inneren Hang zum Schönen hatte. Guli brauchte Schönheit, er verzehrte sich nach Ordnung. Dreck, Gestank, Grobheit schreckten ihn ab. Obwohl er seit langem darin leben musste.
Im Grunde seines Herzens war er ein Edelmann, der mit dem Temperament eines Skorpions geschlagen war.
Für ihn war es doppelt schrecklich, in die Sklaverei verkauft zu werden und in den Marschen leben zu müssen, wo die Menschen dasselbe Wasser tranken wie die Büffel.
Er drückte seine Lippen auf ihre Hand. »Danke, mein Lieb, aber nein.«
Sie drückte seine Hand, er hielt sie kurz fest und verschwand dann ohne ein weiteres Wort.
Ulu sackte auf das Bett zurück und beobachtete, wie die Ka-kerlake über die Waage krabbelte. Sie wusste nicht einmal, welchen
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