Die haessliche Herzogin
Agnes von Flavon. Größer als die Schwestern, die Haare dunkler, leuchtender, das Gesicht länger, nicht so rund, auch die Nase nicht so puppig klein und die Lippen kühner. Alle drei waren die Schwestern sehr eitel.
Agnes, so jung sie war, gute zwei Jahre älter als die Prinzessin Margarete, galt unbestritten als die schönste Dame zwischen Etsch und Inn. Bei allen Turnieren ritt man für sie; sie erteilte die Preise. Rühmte man die welschen Damen, so riefen die deutschen Herren wie aus einem Mund: Agnes von Flavon, und die Italiener verstummten. In Trient, als ihre Mutter sie in einer Lehensangelegenheit mit an den Hof des Bischofs nahm, stand das Volk vor dem Palast, wartete, rief begeistert: »Ein Engel ist herabgestiegen! Segne uns, schöner Engel !«
Agnes war sich ihrer Schönheit sehr bewußt. Es war ihr selbstverständlich, daß der König, die Ritter, das Volk ihr jeden Wunsch erfüllten. Sie betrachtete sich als die Herrin von Tirol.
König Heinrich, in einer Art gutmütigen Taktes, vermied es, die schönen Schwestern mit seiner Tochter Margarete zusammenzubringen. Manchmal freilich ließ es sich nicht umgehen. Agnes behandelte Margarete bei aller äußeren Wahrung der Form mit einer gewissen spöttischen Herablassung, die die Prinzessin bis aufs Blut reizte. Einmal, als die beiden Mädchen allein waren und nur Chretien de Laferte bei ihnen und als fast eine halbe Stunde lang Stichelreden zwischen den beiden Mädchen hin und her gegangen waren, bat Agnes, sich verabschiedend: »Begleiten Sie mich, Herr Chretien!«
»Herr Chretien bleibt !« sagte Margarete, die Stimme ungewohnt trocken und hart. Dann aber, als Agnes achselzuckend mit einem bösartigen, spöttischen Lächeln gegangen war: »Gehen Sie, Chretien! Gehen Sie !« Ratlos, bestürzt, folgte der junge Mensch dem Fräulein von Flavon. Die Prinzessin, allein, verzerrt, atmete, fauchte.
Mit Herrn von Schenna saß sie über einer bebilderten Vershandschrift. Blanscheflur sah aus wie Agnes.
Herr von Schenna und die Prinzessin schauten auf das bunte Bild. »Ja«, sagte Herr von Schenna nach einer Weile, »sie sieht aus wie Agnes .«
»Sie ist wunderschön«, sagte Margarete mit einer gepreßten, seltsam erloschenen Stimme.
»Aber Fräulein von Flavon hat viel dümmere Augen«, sagte Herr von Schenna.
»Lesen wir weiter !« sagte Margarete, und ihre Stimme klang dunkel, voll und warm wie vorher.
König Heinrich alterte sehr früh, verfiel zusehends.
Seine Hände zitterten, oft verlor er die Sprache, lallte.
Wilde, atemlose Furcht vor Strafe im Jenseits befiel ihn. Er hatte so oft an Kirchenportalen, auf Gemälden das Jüngste Gericht dargestellt gesehen, den Höllenrachen, scheußliche Teufel aus dem Schwefelpfuhl grinsend. Dies alles rückte ihm jetzt in schreckhafte Nähe.
Er verdoppelte seine frommen Schenkungen, bedachte Marienberg, Stams, Rotenbuch, Benediktbeuern mit reichen Stiftungen. Aber dies vermochte ihn sowenig zu beruhigen wie die tröstlichen Versicherungen des Abtes von Viktring. Um sich zu kasteien, ließ er in der Kapelle von Zenoberg eine Bahre aufstellen und legte sich eine ganze lange Winternacht hinein. Da kamen die Menschen, die er hatte berauben lassen, foltern, umbringen; er war ein gutmütiger Herr, aber es waren doch sehr viele. Da kamen Frauen, mit denen er Unzucht getrieben hatte; sie wiesen ihm lächelnde Gesichter, aber drehten sie sich um, so war ihr Rücken tief in die Eingeweide hinein zerfressen von ekelm, eitrigem Gewürm. Die ganze Kapelle war voll von scheußlichen Teufeln, die nach ihm krallten, ihn hetzten. Er schrie. Aber er hatte die Kapelle versperren lassen und befohlen, daß niemand in ihrer Nähe sei, auf daß er müsse bis zur Frühmesse allein bleiben mit seinen Sünden und seiner Reue. Schließlich ertrug er es nicht mehr. Er kletterte – die Angst machte ihn geschickt – die Wand hinauf, sprang durch das Fenster.
Verkroch sich zähneklappernd, kalt schwitzend in sein Bett.
Von da an siechte er hin. Er sprach oft für sich allein, hustete hohl und hilflos. Margarete war viel um ihn, doch ohne große Teilnahme. Nun wird er also sterben.
Er kann nicht klagen, er hat sein Leben weidlich genützt.
Sehr gerne hatte er seine Kinder um sich, besonders die ganz kleinen. Er schlurfte herum zwischen dem winzigen, lallenden, auf krummen Beinchen trippelnden, purzelnden Volk, schneuzte dort eine kleine Rotznase, sänftigte hier einen sinn-und atemlos schreienden, rutschenden, dicken, rosigen Balg.
Weitere Kostenlose Bücher