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Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)

Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)

Titel: Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Bluhm
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sicher vor Adventsgestecken, Kerzenschein und besinnlichen Liedern, als wären wir tatsächlich auf einem anderen Planeten.»
    «Ich bin begeistert!» Neugierig blicke ich mich um. Auf den weißen Tischdecken fehlt tatsächlich jeglicher Adventszauber. Kein Tannenzweig, keine Nüsse und auch keine Äpfel, mit denen andere Gaststätten gern dekorieren. Lediglich eine weiße Kerze im schlichten silbernen Leuchter verbreitet warmes Licht auf unserem Tisch. Das Lokal ist nur mäßig besucht. Es könnte irgendein Montagabend im November sein, an dem bereits Schnee gefallen ist.
    Friedrich nimmt mir gegenüber Platz. Churchill schleicht unter den Tisch, wo er sich schnaufend zusammenrollt. Ein freundlicher Kellner erscheint mit der Speisekarte und erkundigt sich nach unseren Getränkewünschen.
    Wir bestellen stinknormales Bier. Ohne Alkohol. Friedrich ist ja mit dem Wagen unterwegs, und mir steht morgen wieder ein anstrengender Tag bevor.
    Zu essen empfiehlt der Kellner den Vorspeisenteller mit Kichererbsenpaste, der für zwei reicht. Danach entscheide ich mich für Piroggen mit Kartoffelfüllung, jüdische Ravioli, und Friedrich für das stadtbekannte Wiener Schnitzel aus Kalbfleisch, das selbst in Wien nicht so delikat schmecken soll.
    «Ein ganz und gar unweihnachtliches Menü», schmunzelt Friedrich, als er dem Kellner die Speisekarte reicht.
    Eine größere Gruppe fröhlicher junger Menschen betritt das Lokal. Als ich sehe, dass einige rote Zipfelmützen mit weißem Plüschpelz tragen, fürchte ich schon um unsere ersehnte Ruhe. Aber es handelt sich anscheinend um eine betriebliche Weihnachtsfeier, denn sie werden von der Empfangsdame in ein Nebenzimmer geführt.
    Wenig später erklingt leise Musik. Nach den ersten Takten erkenne ich die Melodie und glaube meinen Ohren nicht zu trauen. Es ist einer der am meisten gespielten Songs (nicht nur in unserem Kaufhaus), von einem gewissen Rudolf, seines Zeichens Rentier mit roter Nase.
    «Hörst du das? Es weihnachtet auch in Israel», seufze ich bewusst übertrieben.
    «Ob ich es noch einmal auf dem Mond versuche?», flüstert Friedrich mir zu. «Vielleicht hat jemand abgesagt.»
    Als die Vorspeise serviert wird, erkundige ich mich nach Roberts Weihnachtsparty.
    «Soweit ich es überblicke», antwortet Friedrich zwischen zwei Bissen Kichererbsenpaste, die er mit einem Stück Matzen probiert, «hat mein Filius bisher nur eine feste Zusage: meine!»
    «Oh, das tut mir leid für Robert. Wird denn die Party trotzdem stattfinden?»
    Friedrich zuckt mit den Schultern. «Er ist fest entschlossen und gibt die Hoffnung nicht auf. Aber er hat ja noch acht Tage Zeit, um seine Einladungen zu verteilen. Allerdings gehe ich jede Wette ein, dass so gut wie jeder Zeitgenosse bereits familiäre Pläne für diesen Tag hat.»
    «Wer keine hat, ist andersgläubig oder Atheist», füge ich launig hinzu.
    «Oder er liegt auf dem Friedhof!» Friedrich erhebt sein Glas. «Auf unsere verstorbenen Lieben, die uns wieder zusammengeführt haben … esoterisch gesprochen.»
    Mit einem großen Schluck trinken wir auf das jenseitige Wohl unserer Gatten.
    «Und wie läuft die Suche nach dem ultimativen Christbaum?», erkundigt sich Friedrich.
    «Ach, mein Schwiegersohn hat die falsche Tanne besorgt und muss noch mal los. Ansonsten hat meine Tochter ein Extrabüchlein, in dem alles notiert wird, was ein prächtiges Fest garantiert.» Ausführlich schildere ich Katjas krisensichere Planung.
    Friedrich hört mir aufmerksam zu. «Sie überlässt wirklich nichts dem Zufall. Aber ich kann mich erinnern, dass sie die Lernstunden mit Solveig ähnlich durchorganisiert hat. Und das höchst erfolgreich. Dank deiner Tochter stand Solveig immer auf einer Zwei.»
    «Ja, das ist meine Große. Was die sich in den Kopf setzt, zieht sie durch.»
    «Eine bewundernswerte Eigenschaft», findet Friedrich.
    «Unbedingt», stimme ich ihm zu. «Solange es sich nicht um seltene Christbäume handelt.» Ich probiere von der Pastete. «Mmm, sehr schmackhaft … Na ja, vielleicht klappt es ja demnächst mal mit einem Familientreffen, dann wirst du auch meinen Schwiegersohn und meine süßen Enkel kennenlernen.»
    «Das hoffe ich doch sehr, liebe Ursel», erwidert Friedrich. «Es wäre schade, wenn wir uns wieder aus den Augen verlören.»
    Er sieht mich eindringlich an. Flirtet er etwa mit mir?
    Ich erhebe mein Glas. «Das werden wir zu verhindern wissen», verspreche ich.
    Und zum ersten Mal seit Hermanns Tod denke ich darüber

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