Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
rotverschwitzte Gesicht eines beleibten Mannes mit Bart in dicker, blauer Daunenjacke und schwarzer Strickmütze. Schnaufend knallt er eine Ladung Spielzeug auf den Packtisch, schnüffelt kurz und niest dann einmal kräftig. Na super, eine leibhaftige Virenschleuder. Die hat uns noch gefehlt. Er kramt in seiner Jackentasche, angelt ein Taschentuch heraus und wischt sich kurz über die Nase.
«Gibt’s hier auch jemanden, der Geschenke einpackt?», trompetet er dann in einer Lautstärke, als sei das eine frohe Botschaft, die alle Menschen hören sollten.
Nein, du verhinderter Weihnachtsmann, wir stehen hier nur aus lauter Langeweile rum und warten drauf, dass uns jemand mit seinen Grippeviren verseucht
, würde ich gerne zurückschnauzen. Stattdessen nicke ich beflissen und beeile mich, seine Wünsche zu erfüllen. Lissy hilft mit, und da der Dicke im Moment unser einziger Kunde ist, verpacken wir seine sieben Spielsachen schneller als sein offensichtlich zu hoher Blutdruck sinkt.
«Darf’s außerdem noch etwas sein?», säusle ich honigkuchensüß.
Lissy klimpert mit den Wimpern. «Vielleicht ein Zaubertrick – und schon ist Silvester?»
Ohne den geringsten Anflug eines Lächelns brummt er unwillig «Dank schön» und rollt davon.
Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass es zwanzig vor acht ist. Zwei Kunden und zehn Pakete später sind es noch sieben Minuten bis Ladenschluss. Fast geschafft.
«Ah, hier bist du!»
Als ich aufsehe, blicke ich in das freundliche Gesicht von Friedrich Hirsch. Elegant gekleidet in einem sandfarbenen Kamelhaarmantel steht er vor mir, zwei Tüten unseres Hauses in der rechten Hand und in der linken Churchill an der Leine, der sich sofort erschöpft flachlegt.
«Was für eine Überraschung!», sage ich erfreut. «Möchtest du etwas verpacken lassen?»
«Nein, nein, das schaffe ich schon noch selbst. Ich würde dich aber gerne zum Essen ausführen. Falls du nicht längst verabredet bist.»
Einen Augenblick lächle ich verlegen. Dass Friedrich glaubt, ich sei verabredet, schmeichelt mir doch sehr.
«Ich habe ein Rendezvous mit dem Weihnachtsmann, aber für ein leckeres Essen sage ich ab», scherze ich. «Für einen Restaurantbesuch bin ich aber falsch angezogen. Es sei denn, wir speisen an einer Dönerbude.»
«Nein, kein türkischer Hamburger, kein Fastfood und auch kein Hindu-Mahl. Außerdem siehst du bezaubernd aus», sagt er mit Blick auf meinen Kopf.
Jesses Maria und Josef! Ich hab ja noch diese bescheuerte Mütze auf. Verlegen reiße ich sie mir vom Kopf und fahre mit den Fingern notdürftig durchs angeklatschte Haar.
Da wir Aushilfen erst noch aufräumen und den Laden dann durch den Personalausgang verlassen müssen, verabreden wir uns in der Seitenstraße, wo Friedrich seinen Wagen geparkt hat. Den Zufall, einen der wenigen legalen Plätze in der Innenstadt, noch dazu in der Nähe «meines» Kaufhauses gefunden zu haben, nennt er sein ganz persönliches Weihnachtswunder. Für mich ist es seine Einladung.
«Wohin entführst du mich denn?», frage ich ihn, als ich eine halbe Stunde später den Sicherheitsgurt befestige.
Churchill liegt bereits vorschriftsmäßig angeschnallt im Fond des Wagens.
«Ich dachte, wir zwei Weihnachtsopfer begeben uns dorthin, wo garantiert
kein
Weihnachten stattfindet.»
«Kann mir nicht vorstellen, dass so ein Ort existiert», sage ich. «Wo inzwischen sogar die Chinesen dem Zauber des Glitzerwahnsinns erliegen … Es scheint, als sei die ganze Welt wie im Rausch.»
Friedrich schenkt mir einen Seitenblick. «Lass dich überraschen, Ursel. Ich habe eine
Oase
gefunden.»
«Auf Erden oder auf dem Mond?», entgegne ich gutgelaunt.
«Dort oben war leider nichts mehr frei», sagt er lachend.
Als wir wenig später das «Cohen», ein hell eingerichtetes Restaurant, betreten, empfängt uns eine junge Frau, die weder als Weihnachtsengel verkleidet ist noch Christbaumkugeln als Ohrringe trägt. Friedrich kennt sich wirklich aus.
«Sind Hunde erlaubt?», erkundigt er sich bei der Empfangschefin. «Oder soll ich ihn im Wagen unterbringen?»
«Nein, nein, nicht nötig», entgegnet sie. «Solange sich kein anderer Gast beschwert …» Die Frau geleitet uns zu einem Tisch, nimmt unsere Mäntel entgegen und bringt sie zur Garderobe.
Friedrich rückt mir den Stuhl zurecht. «Na, habe ich zu viel versprochen? Das Judentum hat mit unserem größten Fest des Jahres nichts am Hut. Oder vielmehr an der Kippa, in diesem Fall. Hier sind wir
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