Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
glauben kann. «Und was oder wer hat deine Meinung geändert?»
«Die Kinder!», antwortet sie. «Die waren gestern so unglaublich süß beim Krippenspiel, dass mein vereistes Anti-Weihnachts-Herz aufgetaut ist. Und weil es doch ein Fest der Liebe ist, habe ich mich bei Katja entschuldigt und sie gebeten, mir nicht zu zürnen. Es wäre keine böse Absicht, dass ich wegen der Reise Heiligabend nicht dabei sein kann. Sie hat meine Entschuldigung angenommen und gefragt, ob ich dann heute beim Baumaufschmücken helfen wolle. Sie würde extra noch mal Kartoffelsalat und Würstchen zubereiten, weil ich doch auch das letzte Adventsessen versäumt habe. Wir könnten dann so eine Art vorgezogenes Weihnachtsfest feiern. Natürlich ohne Bescherung, wegen der Kinder. Die Glühweintassen müsstest du dann bitte an Heiligabend überreichen. Für mich ist es ein akzeptabler Kompromiss und für Katja wie zwei Mal Heiligabend. Guck …», sie öffnet ihre lila Jacke, «… ich hab mir auch extra einen roten Weihnachtspulli angezogen.»
«Brav», lobe ich schmunzelnd. «Dann hat Katja sich gefreut?»
«Als hätte ich ihr eine Zwei-Meter-Coloradotanne ins Wohnzimmer gezaubert», flachst Madeleine.
«Na, auf den Wunderbaum bin ich echt gespannt. Ich kann mich nämlich nicht erinnern, dass wir zu Papas Lebzeiten jemals diese Baumsorte hatten, wie Katja behauptet.» Ich spendiere Madeleine eine teure Verpackung, inklusive Duftbouquet aus getrockneter Orangenscheibe, Nelken und Zimtstange. «Meiner Meinung nach hatten wir Edeltannen, die auch wunderschön aussehen und herrlich duften. Wie auch immer, ich kann es kaum erwarten, den Baum zu sehen.»
Als wir vor Katjas Haus ankommen, ist Bernd gerade dabei, einen Baum vom Dachgepäckträger des Wagens abzuladen. Ob es sich nun um die ersehnte Coloradotanne handelt, kann ich noch nicht erkennen, denn er steckt in einem engen Plastiknetz, das die Äste zusammenhält. Zum leichteren Transport ist er zusätzlich mit einem Seil verschnürt. Madeleine packt mit an, und gemeinsam wuchten sie das Gewächs in die zweite Etage. Kurz darauf ziert der Immergrüne den Parkettboden, beziehungsweise ein altes Bettlaken, das Katja zum Schutz ausgebreitet hat. Denn auch der edelste Baum wird beim Auspacken ein paar Nadeln oder kleine Äste verlieren.
Katja, in Jeans und rotem Pulli wie ihre Schwester, und Bernd jetzt im tannengrünen Hemd, lösen das Netz mit der Küchenschere. Madeleine, die Kinder und ich sitzen auf der Couch. Gespannt verfolgen wir, wie Bernd das Plastiknetz zerschneidet.
«Er riecht … irgendwie komisch …», stellt Katja schnüffelnd fest.
«Nach Wald, eben», antwortet Bernd und guckt sie stirnrunzelnd an. «Wonach soll er denn sonst riechen?»
«Zitronig!», antwortet sie geduldig. «Ich habe dir extra eingeschärft, dass Coloradotannen ganz intensiv nach frischer Zitrone duften. Das ist ein Hauptmerkmal.»
«Na ja, vielleicht wird’s noch, wenn er erst mal auf Betriebstemperatur hochfährt», scherzt Bernd, als handle es sich um einen empfindlichen Motor. Dann ergreift er den Baum und stellt ihn auf. «Schaut doch super aus und reicht fast bis zur Decke!»
«Ich finde, er sieht irgendwie krumm aus.» Katja wiegt den Kopf hin und her.
Bernd dreht den Baum ein wenig, als suche er die Schokoladenseite. «Ach was, die meisten Tannenbäume sind etwas schief. Aber keine Sorge, das gleiche ich später aus, wenn ich ihn im Ständer befestige.»
Katjas Blicke wechseln zwischen Bernd und Baum, dann betastet sie die Äste und schreit schmerzvoll auf, als wäre einem ihrer Kinder etwas zugestoßen. «Neiiin, neiiin, neiiin!»
«Was?» Erschrocken lässt Bernd die Tanne vor ihre Füße fallen.
«Mama, Mama?», schreien Jan und Eric verängstigt.
«
Das
ist keine Coloradotanne!»
«Verdammt noch mal, jetzt hab ich aber genug», knurrt Bernd aufgebracht. «Dieser scheiß Baum hat Äste, ist silbrig und duftet. Muss er vielleicht erst noch ein Weihnachtslied vorsingen, damit er vor deinen Augen Gnade findet?»
«Sseisse daaaf man nicht ssagen», korrigiert Jan.
«Ich weiß, Jan, tut mir auch leid. Kommt nicht wieder vor», entschuldigt er sich und wendet sich an Katja. «Das war der einzige Baum, der überhaupt nach Tanne gerochen hat. Der Verkäufer hat geschworen, dass es der richtige sei, und er wäre aufgrund seiner starken, gleichmäßig gewachsenen Äste besonders für schweren Baumschmuck und echte Wachskerzen geeignet.»
«Jaja, in den letzten Tagen wollen doch alle
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