Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
Verletzung, hat mein fluchender Schwiegersohn den Immergrünen festgeschraubt.
«Na also, geht doch!», ruft er zufrieden.
Katja hat die Aktion mit kritischem Blick beobachtet und gibt nun ihr Urteil ab. «Leider immer noch schief!»
«Quatsch», wehrt sich Bernd.
«Doch», beharrt sie. «Und überhaupt, wieso hast du denn den alten Baumständer benutzt? Wolltest du nicht einen neuen, verstellbaren besorgen?»
Bernd tritt zurück und betrachtet sein Werk. «Na gut, vielleicht fehlt ein halber Millimeter zur Schnurgeraden», gibt er zu, ohne auf Katjas Frage bezüglich der Neuanschaffung einzugehen. «Wir legen einfach ein dünnes Buch unter, ein hübsches Tuch davor und gut is.»
«Die Neigung beträgt eher einen halben Meter.» Katja übertreibt. «Außerdem sieht der Baum jetzt nur noch halb so groß aus. Und gib es zu, du hast keinen neuen Ständer besorgt?»
Bernd vergräbt die Hände in den Jeanstaschen und blitzt seine Frau kampflustig an. «Nein, habe ich nicht. Die Dinger waren ausverkauft.»
«Wenn wir nicht bald mit dem Schmücken beginnen, fällt die Probe-Weihnacht auf Ostern», versuche ich mit einem Scherz den sich anbahnenden Streit abzuwenden. «Außerdem bekomme ich langsam Hunger.»
Wie auf Zuruf tauchen die Jungs aus der Küche auf, gefolgt von ihrer Tante, die einen Topf mitbringt. «Würstel … Würstel … Würstel …», fordern sie im Takt.
Damit sie Ruhe geben, sich aber nicht den Appetit verderben, bekommt jeder eine halbe Wurst. Der schiefe Baum wird mittels Heinrich Bölls Kurzgeschichtenband «Nicht nur zur Weihnachtszeit» in die gewünschte Lage gebracht und kann endlich verschönert werden.
In wiedergewonnener Einträchtigkeit verteilen wir den Christbaumschmuck gleichmäßig auf den Ästen. Madeleine zerreißt inzwischen eine Rolle Klopapier für die Pappmaché-Masse. Die Jungs dürfen schmücken helfen und sind mit geröteten Wangen eifrig dabei. Die Weihnachtsgurken werden natürlich noch nicht angebracht, die liegen bei mir zu Hause auf der Kommode. Ich bringe sie erst an Heiligabend mit, falls Katja sich dann über die Farbe mokiert, ist es zu spät für einen Umtausch.
Trotz der unangenehm stechenden Tannennadeln hängen irgendwann alle Kugeln, Figuren und Strohsterne am Baum. Zuletzt steigt Bernd auf die Küchenleiter, setzt den goldenen Engel mit der wallenden Lockenpracht auf die Spitze, und Katja steckt Kerzen auf. Echte Bienenwachskerzen versteht sich. Dann weihnachtet es schon ziemlich heftig.
Zufrieden betrachten wir die falsche Tanne, die sich durch den üppigen, glitzernden Schmuck in einen
echten
Christbaum verwandelt hat. Madeleine behauptet euphorisch, so einen schönen noch nie gesehen zu haben. Bei genauem Hinsehen könnte man bemängeln, dass er immer noch schief steht, aber ich sehe ohnehin nicht mehr besonders gut und habe vermutlich einen ziemlichen Knick in der Optik.
Bernd klappt die Leiter zusammen. «Wie geht’s jetzt weiter, geliebtes Weib?»
«Krippe, Krippe», fordert Eric, und Jan ergänzt:
«Tante Leni hat das Jesulein sson fertig.»
«Gut, dann wird jetzt das Kripplein aufgebaut, aber nur mit Oma und Madeleine», weist Katja an.
Das hölzerne Stallhäuschen steht in wenigen Minuten unterm Baum. Anschließend ziehen Maria und Josef ein, die fünf Schafe, ein Esel und eine Ziege folgen. Zuletzt wird eine Handvoll echtes Stroh, vom Sternebasteln übrig geblieben, andächtig in der leeren Krippe verteilt. Madeleine übergibt den Jungs das noch feuchte Pappebaby, das eher wie ein grauer Mehlwurm aussieht, aber vielleicht doch authentischer ist als ein grünes Gummibärchen.
Endlich blickt Katja mit glänzenden Augen in die Runde. «Dann zünde ich jetzt den Baum, … ähm, die Kerzen an.» Sie kramt in einer Blechschachtel neben dem Fernseher, angelt Streichölzer hervor und beginnt, die Kerzen zu entflammen.
Jan und Eric klatschen begeistert in die Hände. «Probier mal Weihnachten … probier mal … Weihnachten …»
Bernd sinkt erschöpft aufs Sofa.
«Mit einer echten Coloradotanne wäre es zwar viel schöner, aber als Probeweihnachten lasse ich es gelten», sagt Katja.
«Ich helfe dir gleich in der Küche», wechselt Madeleine das Thema. «So langsam hab ich nämlich echt Kohldampf.»
«Und ich erst», stimmt Bernd ihr zu. «Ich könnt ’ne ganze Schüssel Kartoffelsalat alleine verputzen.»
«Ich will auch Kerzen zünden», meldet sich Eric.
«Du bist noch viiiel ssu klein», entscheidet Jan.
«Solange die Kerzen
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