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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Farben wählte, wenn er sie als rechtsradikal entlarvt hatte? Konnten Farben überhaupt Ideologie transportieren, waren sie nicht in der Natur vorhanden und ebenso unschuldig wie Erde, Meer und Gras?
    Vaters Bilder waren alle ähnlich, immer krochen schwarze Insekten - Käfer, Ameisen, Motten - auf roten Früchten herum. Der Hintergrund war weiß, meistens ein Tafeltuch mit akribisch gemalten Falten und Schatten.
    »In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister«, meinte er.
    Ich erinnerte mich an seine früheren Bilder. »Damals hast du den Himmel und das Meer gemalt, niemals Granatäpfel mit Wanzen.«
    »So? Kann sein. Tatsächlich, du hast recht«, er kramte hinter seinem Kleiderschrank, erregte sich, weil er nicht fand, was er suchte, und packte immer neue schwarz-weiß-rote Bilder aus. Dazwischen lagerte eines, das ihn selbst überraschte. Ein weißer, christusähnlicher Leichnam lag auf schwarz verkohlten Balken, aus seinen Wunden strömte Blut. Er trug die Züge von Carlo. Wir starrten darauf.
    »Muß ich im Suff gemalt haben«, sagte Vater.
    Wie so oft, sprach Cora aus, was ich nur zu denken wagte. »Herr Westermann, hat Carlo Sie in letzter Zeit besucht?«
    Vater sah sie irritiert an und schüttelte den Kopf.
    »Woher weißt du, wie Carlo heute aussieht?« fragte ich. »Damals war er ein Kind.«
    »Das ist nicht Carlo.«
    »Wer denn?« fragte Cora.
    »Ach Kinder! Das ist niemand. Die Ausgeburt meiner Phantasie. Weiß deine Mutter, daß du mich besuchst, Maja?«
    »Nein.«
    »Was hat sie über mich gesagt?«
    »Nichts.«
    Er glaubte mir. Wir verabschiedeten uns und versprachen, bald wiederzukommen.
     
    Am nächsten Tag traf sich Cora mit ihrem Studenten in der Stadt, während ich einen Streifzug durch die Hamburger Geschäfte machte. Eigentlich wollte ich nicht stehlen; das Taschengeld, das mir Mutter mitgegeben hatte, war für unsere Verhältnisse reichlich, und ich konnte davon Straßenbahnkarten, Eis und andere Kleinigkeiten bezahlen. Meine privaten Bedürfnisse waren bescheiden, nie wäre mir in den Sinn gekommen, mich mit Luxus einzudecken. Nur Erlesenes konnte mich in Versuchung führen. Aber für meinen armen Vater...
    Ich stahl weder Geld noch Lebensmittel, sondern Farben. Ihre seltsamen Bezeichnungen faszinierten mich: Caput mortuum, Cölinblau und Krapplack.
    Weil es Sommer war und ich den Elefantenmantel nicht anziehen konnte, trug ich eine große Plastiktüte voller Brötchen am Arm, in deren Tiefen ich eine kleine Sammlung von Farbtuben gleiten ließ. Der Pinsel mußte aus Marderhaar sein.
    Abends gingen wir in ein Musical. Coras Onkel hatte Karten mitgebracht. Er hegte die Hoffnung, daß wir bald heimfahren würden.
    Cora fand, daß wir die schönen Farben bald nach Lübeck bringen sollten. Seit sie das Leichenbild gesehen hatte, hielt sie viel von Vaters Kunst, weil dieses Motiv ihren Geschmack getroffen hatte.
     
    Vater war gerührt über mein Geschenk. »Aber was soll ich nur malen?« rief er wie ein Kind.
    »Uns«, sagte ich, »ein Doppelporträt von Cornelia und mir.«
    »Ich habe seit einer Ewigkeit keine Personen gemalt.«
    Aber auch Cora setzte ihm zu, weil ihr meine Idee gefiel. Vater fing Feuer; die neuen Farben reizten ihn. Er begann mit mehreren Skizzen, die erstaunlich lebendig gerieten. »Ich werde euch wie zwei Kurtisanen von Utamaro malen.« Von spanischen Prinzessinnen war nicht die Rede.
    Nach drei Sitzungen brachte er das Bild in einem gewaltigen Schaffensrausch zu Ende. Dieses Werk fiel ganz aus dem Rahmen seiner Käferbilder, es war bunter.
    Cora und ich sahen älter und wissender aus, hatten aber etwas kindlich Grausames im Ausdruck, als hätten wir seinen Insekten gerade die Flügel ausgerissen.
    Vater war begeistert, umarmte mich zum ersten Mal und auch Cornelia (nicht korrekt, fand ich) und meinte, dieses Bild sei der Anfang einer zweiten Karriere. Von einer ersten war mir nichts bekannt.
    Zum Abschied wollte mir Vater das Bild schenken. Aber wie sollte ich es vor Mutter verbergen? Sie wüßte sofort, wer es gemalt hatte. Ich versuchte, das zu erklären.
    »Dann sag ihr die Wahrheit«, meinte er.
    »Sie spricht nicht über dich. Carlo und ich wollen sie nicht verletzen; wahrscheinlich hat sie nie verkraftet, daß du uns verlassen...«
    Bei diesen Worten wurde ich verlegen, denn so direkt hatte ich die ganze Zeit nicht mit ihm gesprochen.
    Er starrte vor sich hin. »Eine harte Frau«, sagte er, »als ob ich freiwillig in den Knast gegangen wäre.«
    Cora und ich

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