Die Häupter meiner Lieben
fuhren hoch. Was hatte er gesagt?
Cornelia fragte höflich: »Warum waren Sie im Knast, Herr Westermann?«
Ich hätte mich nicht getraut.
»Mein Gott...«, Vater holte Schnaps und trank direkt aus der Flasche, »ich erzähle es euch, wenn ihr älter seid.«
Mit sechzehn hört man alles lieber als das.
»Jedenfalls war es ein Unglücksfall. Ich habe dafür bezahlt. Wenn deine Mutter zu mir gehalten hätte, wäre ich seit Jahren wieder bei euch gewesen.« Er machte noch eine unklare Bemerkung, daß andere Frauen weniger hartherzig waren.
Wieder war es Cornelia, die bohrte: »Haben Sie zum zweitenmal geheiratet?« Dabei mußte sie wissen, daß meine Eltern nicht geschieden waren.
»Nein, nein«, sagte er, »Karin ist Krankenschwester, eine tüchtige Frau ohne Vorurteile. So dachte ich. Jetzt ist sie weg, wo ich alt werde und Hilfe brauche.«
»Vater«, sagte ich mit neuem Mut, »weißt du noch, daß ich die Infantin Maja bin?«
»Wieso Infantin?« fragte er und stocherte mit einem Streichholz im Ohr. »So was gibt es nicht bei uns. Karin war übrigens nicht jünger als deine Mutter, sogar ein Jahr älter.«
Die blöde Karin interessierte mich nicht. »Vater, ich meine den Velázquez«, sagte ich beschwörend.
»Velázquez? Wenn ich mich recht erinnere, malte er Bilder vom spanischen Hof, auch Infantinnen. Wie kommst du darauf? Ich bin kein Epigone.«
Damit war bewiesen, daß er seine kleine Tochter vergessen hatte.
Cora packte das Bild ein. »Wenn Maja es nicht will, werde ich es mitnehmen«, sagte sie.
Vater nickte bloß. Anscheinend kam er nicht auf die Idee, es selbst als Erinnerung zu behalten. Wir nahmen Abschied. Am nächsten Tag wollten wir nach Hause fahren. Ich hatte vieles nicht geklärt und nicht erfahren, neue Geheimnisse waren zu den alten hinzugekommen. Enttäuscht und verletzt gab ich ihm die Hand.
»Na, denn man tschüs«, sagte er.
Persischrosa
Man kann seine Eltern hassen, man kann sie idealisieren. Coras Eltern waren so sehr das Gegenteil von meinen, daß sie mir bar aller Gemeinheit und alltäglicher Abnutzungserscheinungen als Inbegriff moderner partnerschaftlicher Beziehung erschienen. Mein Vater war ein Säufer, meine Mutter depressiv. War sie es seinetwegen geworden, oder hatte Vater ihretwegen zur Flasche gegriffen? Wie immer es nun war, jedenfalls hatten sie sich in ihrer verhängnisvollen Entwicklung gegenseitig bestens gefördert.
Im Frühling regnet es manchmal heftig in Florenz. Aus dem Bus heraus ist kaum etwas von der Schönheit dieser Stadt zu sehen, schmutziges Regenwasser rinnt über die Fenster. Der Vergleich mit den Tränen meiner schmutzigen Seele ist wahrscheinlich nicht originell, aber er fällt mir immer wieder ein.
An solchen trüben Tagen denke ich an unsere Rückreise von Hamburg nach Heidelberg. Als wir in der Bahn saßen und Coras erleichterten Verwandten zunickten, hatte ich das Gefühl, eine Grippe zu kriegen. Übrigens blieb ich gesund, aber meine innere Schlappheit und Weinerlichkeit waren den Vorboten einer Krankheit ähnlich. Wir sprachen über meinen Vater, das heißt, Cora tat es. Ich hatte wenig Kraft, eigene Theorien zu entwickeln.
»Wirst du Carlo über unsere geheime Mission aufklären?« fragte sie. »Natürlich ohne unseren Lottogewinn zu verraten.«
Ich war entsetzt. »Das geht ihn einen feuchten Dreck an.« Aber gleichzeitig fand ich es verlockend, daß ich mehr wußte als er und ihn mit einem langsamen Bericht, bei dem er mir ständig die Würmer aus der Nase ziehen mußte, auf die Folter spannen konnte. »Ich muß es mir noch überlegen«, sagte ich, kuschelte mich an Cora und schlief ein.
Ich wachte nach einem fiebrigen Schlaf auf; ein unangenehmer Traum, den ich nicht in Worte fassen konnte, beunruhigte mich. Er hatte etwas mit Vaters Bildern zu tun. Bald mußte ich mich von Cora trennen und war schutzlos meinem Erpresser ausgeliefert. Ohne meine Freundin fühlte ich mich wie ein mutterloses Kind.
Cornelia hatte im Gepäcknetz eine Zeitung gefunden. Kaum schlug ich schläfrig die Augen auf, sagte sie schon:
»Ich muß dir etwas Interessantes vorlesen. Paß auf:
Bei einer Feier unter Jugendlichen in der Kreisstadt H. kam unter tragischen Umständen der siebzehnjährige Markus Sch. schwerverletzt ins Krankenhaus. Nach reichlichem Alkoholgenuß setzte er die Gaspistole seines Vaters, von der er annahm, daß sie keine Gefahr bedeutete, an seine Schläfe und drückte ab. Nach Aussagen seiner Freunde wollte er einer
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