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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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bewohnte, wurde tagsüber verdunkelt, damit es kühl blieb. Die Zimmerdecken waren hoch, Eichenbalken bildeten ein Tragwerk, auf das dicke rötliche Backsteine gepackt waren. Lagen wir nebeneinander im Bett, dann konnten wir lange auf das Steinmuster schauen und bei diesem Anblick müde werden.
    Nach drei Tagen hatte meine Haut jenen goldenen Bronzeton angenommen, um den mich alle beneideten, während Cora und ihre Mutter die Tüpfelung hinnehmen mußten. Der Professor saß stets im Schatten und las. Die amerikanischen Verlobten waren noch nicht eingetroffen.
    Coras Mutter mußte uns ständig im Auto zur Bushaltestelle bringen und sehnte sich nach dem Tag, an dem wir einen eigenen Führerschein hätten. In Siena zeigte mir Cora einige pikante Sehenswürdigkeiten wie das Haupt der Heiligen Katharina in San Domenico, aber die meiste Zeit saßen wir auf der Piazza del Campo und ließen uns ansprechen. Unser Taschengeld reichte nicht, um ein Eis nach dem anderen zu löffeln, denn hier kostete es dreimal mehr als woanders. Aber wir waren zufrieden, auf irgendwelchen Stufen zu lümmeln, die braunen Beine in die Gegend zu strecken und Brötchen mit toskanischem Schinken zu kauen. Wir fütterten Tauben, kamen dabei mit benachbarten jungen Männern ins Gespräch, mit denen wir in drei Sprachen radebrechten, und wurden rasch zu teuren Eisbechern eingeladen. Die Männer waren entweder modische junge Italiener oder Touristen mit sperrigen Rucksäcken, Turnschuhen, schweißigen T-Shirts und abgeschnittenen Jeans.
    Coras Sommerferien waren, seit sie allein mit dem Bus nach Siena fahren durfte, immer so verlaufen. Allerdings mußten wir zu einer abgemachten Zeit zurück in Colle di Val d'Elsa sein, denn dort warteten Coras Eltern, um mit uns essen zu gehen.
    Schon am Anfang der Ferien, noch vor Fred und Annies Ankunft, lernten wir zwei deutsche Medizinstudenten kennen, die in einem klapprigen VW-Bus nach Sizilien wollten. Ich verliebte mich auf der Stelle in Jonas. Cora wollte ausnahmsweise keinen von beiden. Meine Pläne, in diesem Sommer ihren Bruder zu angeln, waren von einer Sekunde zur anderen vergessen.
    Jonas hatte fast schwarze Augen, und ich fand ihn schön und männlich. Er sah mich unverwandt an; er war der erste Mann, der nicht zuerst auf Cornelia flog.
    In meinen glücksbringenden, sienafarbenen Korsarenhosen und einem knappen Hemdchen in ockergelb, brauner Haut und goldbraungeflecktem Haar fühlte ich mich aufregend schön; und ein junger Mann sah ausschließlich mir in die Augen - gab es ein größeres Glück? Kaum merkten wir, daß Cora mit dem anderen Studenten, er hieß Karsten, in den zebrastreifigen Dom abwanderte, um die Fremdenführerin zu machen.
    Schon zwei Tage später schlief ich mit Jonas im VW-Bus. Er war ohne Begleiter (aber mit selbstgepflückten Blumen) im Ferienhaus erschienen und holte mich zu einer Spazierfahrt ab. Von da an hatte ich nichts anderes mehr im Kopf. Cora sagte: »Dich hat's aber erwischt!«
    Enttäuscht fuhr der arme Karsten per Anhalter nach Sizilien, während ich Tag für Tag ein überschwengliches Liebesleben im Kombi genießen konnte. Coras Eltern mischten sich nicht ein.
    Als schließlich Fred und Annie Oakley eintrafen, war vor allem Cora maßlos unzufrieden. »Da hat er sich wirklich die letzte Eule ausgesucht, etwas mehr Geschmack hätte ich ihm zugetraut. Und diese penetrante Mickymaus-Stimme!«
    Annie war von uns allen entzückt, fand Europa wundervoll, kicherte blöd und redete in einer gräßlichen Sprache, die wenig mit unserem Schulenglisch zu tun hatte. Gutmütig tat sie alles, um Fred zu gefallen. Ich schwamm gerade in einem solchen Meer von Glück, daß ich mich um Annie und Fred nicht kümmerte. Aber gerade mein Desinteresse und gleichzeitiges bräutliches Aufblühen schien bei Friedrich etwas zum Klingen gebracht zu haben, denn er fuhr häufig seiner Annie über den Mund und lachte viel zu lange über die simpelsten Witze, die mir über die Lippen kamen.
    Cora beobachtete die Szene. »Kannst du nicht von Jonas auf Friedrich umschwenken, dann wären wir das blöde Weib los. Es wäre doch praktisch.«
    Ich sah sie verständnislos an. Seit wann war Liebe praktisch?
    »Vergiß es«, sagte Cora, »mit dir kann man im Moment nicht vernünftig reden.«
    Wir saßen auf den grauen Steinstufen, die von außen in die obere Wohnung führten, und lackierten unsere Zehennägel rosa. Coras Mutter setzte sich zu uns. »Und was ist mit den Fingerchen?« sagte sie und hob

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