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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Einzimmerwohnung mit Kochecke stehe bereit. Demnächst werde Onkel Paul erscheinen und die Räumung der alten Wohnung veranlassen. Die Möbel, die sie brauchen konnte, würden ihr zugeschickt, den Rest wollte der Onkel in einem Lager unterbringen. Ich solle meine Sachen an mich nehmen. (Das war nur noch die seladongrüne Schale.) Sie schloß mit den Worten: Deine Mutter, der du Unglück gebracht hast.
    Kein Wort stand in diesem Brief über meine Zukunft. Der Professor hatte mich zwar in seine Familie aufgenommen, aber in der festen Annahme, daß meine Mutter in drei Monaten wieder funktionstüchtig sei. Ich schämte mich.
    Als ich mit diesem Schreiben vor Herrn Schwabs Schreibtisch stand (ich hatte mich entschieden, ihn als ersten zu informieren), sah er freundlich lächelnd von seiner Übersetzung auf: »Bald geht es in die Sommerfrische, nicht wahr«, meinte er, »dann sieht das Leben für dich und deine Intima wieder rosig aus, den ganzen Tag poussieren und Eis essen, nicht wahr.«
    Ich legte ihm Mutters Brief auf die lederbezogene Schreibtischplatte. Er gab zu, daß er nicht damit gerechnet hatte, mich als Dauergast zu beherbergen. »Aber es soll uns allen eine Freude sein, wenn hier im Haus ein doppeltes Abitur gefeiert wird«, schloß er liebenswürdig und nahm ein unförmiges Lexikon zur Hand. Ich war in Gnaden entlassen.
    Cora umarmte mich. »Ohne dich würde ich verkümmern, es war schrecklich, sozusagen als Einzelkind zu vegetieren, als Friedrich in die USA ging.«
    Auch Coras Mutter fand es gut, daß ich noch ein ganzes Jahr im Hause blieb. »Wenn du zu deinem Onkel nach Bonn gingest, müßtest du die Therapie abbrechen, das wäre schlimm.«
    Es wäre gut gewesen, wenn ich meine Therapie noch lange durchgehalten hätte, aber leider kam es anders.
    Eines Abends, als Cora und ich uns in Nachthemden die Fotos früherer Toskanaferien ansahen, fragte ich vorsichtig: »Es gibt vier Betten, aber mit deinem Bruder und Annie sind wir sechs - sollen wir beide im Zelt schlafen?«
    »Quatsch«, sagte Cora, »wir haben kein Zelt. Das Haus hat drei Ferienwohnungen. Meine Mutter hat schon an Weihnachten hingeschrieben und die kleinere Wohnung für Fred und Annie gemietet.«
    »Und ich hatte Angst, ihr würdet ohne mich fahren!«
    »Ehrlich?« fragte Cora verwundert. »Warum hast du nicht einfach gefragt?«
    Aber gerade das fiel mir schwer. Ein Jahr lang würde noch für mich gesorgt; ich wagte selbst Cora nicht zu fragen, was dann käme.
    Sie aber sprach ihrerseits über die Zukunft: »Vielleicht werde ich in Florenz studieren, Malerei oder Architektur. Dafür müßte ich allerdings eine Sprachprüfung machen; ich kann zwar etwas italienisch, aber das reicht nicht. Am besten, ich ziehe gleich nach dem Abi nach Italien und bereite mich intensiv auf die Sprachprüfung vor. Und was hast du vor? Kommst du mit ins Land, wo die Zitronen blühn?«
    Obgleich ich mit einem Stipendium rechnen konnte, würde ich nie die Mittel haben, nach Florenz zu ziehen. »Ich werde auch studieren«, sagte ich, »Germanistik und Theaterwissenschaft, und dann werde ich Dramaturgin.«
    »Unter diesen Umständen lass' ich die Architektur sausen, werde Bühnenbildnerin, und wir gehen später zusammen an die Schaubühne, abgemacht?«
    Ich nickte, obgleich ich genau wußte, wie unrealistisch diese Träume waren.
     
    Anfang Juli war ich wirklich in Italien. Colle di Val d'Elsa war eine kleine Stadt, und von dort ging es in das Dorf Gracciano. Eine Schotterstraße führte zum Ferienhaus.
    Das Haus lag auf einem Hügel, auf jeder Seite standen fünf große Eichen. Das Grundstück, auf dem Cora das Fledermausskelett gefunden hatte, war von goldenen Getreidefeldern umgeben. Frühmorgens und abends hörte man Fasanenhennen fast wie Hühner gackern. Im Westen lag ein sanft ansteigendes Kornfeld, am Horizont von Solitärbäumen begrenzt. Der Professor meinte, daß dieser Acker im Licht der untergehenden Sonne wie Gottfried Kellers Abendfeld aussähe.
    Vom ersten Augenblick an liebte ich diese Landschaft und ihre Häuser. Unser altes Haus war in traditioneller toskanischer Weise aus verschieden großen Steinbrocken gebaut, die mit Mörtel zu einem hübschen Puzzlemuster zusammengefügt waren. Cora und ich verbrachten die meiste Zeit im Pool. Drei Schwalben spielten über dem Wasser, stießen im Sturzflug bis zur Oberfläche und nahmen ein Schnäbelchen Chlorwasser auf. Sobald es dunkel war, verwandelten sie sich in Fledermäuse.
    Das Zimmer, das ich mit Cora

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