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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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anderen und sammelte dabei Lorbeerblätter zum Würzen oder rupfte zähe Unkräuter aus dem trockenen Boden. In Gedanken sah ich ihn seine alten Tage in diesem Garten verbringen. Die Eltern versuchten, Cora unter vier Augen die Heirat auszureden.
    Eines Tages saßen wir alle im Garten und tranken Chianti. Henning hielt Béla auf dem Schoß. Plötzlich geschah das Wunder: mein Sohn sagte klar und deutlich »Papa«. Dem alten Playboy kamen die Tränen. Übrigens sprach Béla die nächsten Monate nie mehr ein verständliches Wort.
    Emilia versuchte, meinem Sohn Italienisch beizubringen. Sein Name gefiel ihr nicht. Oft nannte sie ihn »Bellino«; wenn die Windeln voll waren »Bel Paese«. Aber ich hörte auch mit Verwunderung, wie sie das komplizierte deutsche »Schätzchen« artikulierte.
    Herr und Frau Schwab reisten ab, schließlich war der Professor berufstätig. Cora mußte ihren Eltern versprechen, daß sie sich alles überlegen und erst einmal die Sprachprüfung machen würde.
     
    Kaum waren die Eltern aus dem Haus, als die Hochzeitsvorbereitungen begannen. Henning hatte in diesem Punkt ebensowenig Skrupel wie Cora. Mir war nicht wohl in meiner Haut; trotzdem wollte ich als Trauzeugin fungieren. Ich rief Jonas an und fragte, ob er nicht zur Feier kommen wolle. Er war beleidigt. »Hast du keine anderen Sorgen? Warum meldest du dich nicht öfter? Wenn ich anrufe, nimmt keiner ab. Meinst du nicht, daß ich hören will, wie es Barthel geht?«
    Also feierten wir im kleinen Kreis. Ein paar Freunde aus dem Golfklub, ein paar Studienkollegen von Cora, das war's. Aber als wir nach dem festlichen Essen zurück in unsere rosa Villa kamen, lehnte eine lumpige Gestalt am Eisentor. Mein Vater.
    »Wer um alles in der Welt ist das?« fragte Henning.
    Ich hatte die Hoffnung, er werde meinen Vater nicht einlassen, aber als Cora sagte »Majas Papa«, schüttelte er ihm in euphorischer Stimmung beide Hände.
    Ich begrüßte meinen Vater nicht. Anscheinend hatte er einen Instinkt dafür, wo eine Hochzeit gefeiert wurde, wahrscheinlich, weil es bei solchen Gelegenheiten reichlich zu trinken gab. Finster folgte ich Cora, Henning und meinem Vater ins Haus. Emilia brachte mir Béla und erzählte, wie lieb er gewesen sei.
    Henning bat Cora, unserem Gast etwas zu essen zu holen. Wir saßen um einen runden Tisch, und Vater erzählte, daß er seinen Pflegern ein Schnippchen geschlagen habe und ihnen entkommen sei. Er habe den Professor nach Coras Adresse gefragt, angeblich um mir zu schreiben. In zwei Tagen sei er mühelos hergetrampt.
    Nach hartnäckigem Befragen berichtete Vater, daß er zuerst unsere Wohnung aufgesucht habe, als er dort niemanden vorfand, den Bauernhof. Alle seien auf dem Feld gewesen, nur die Großmutter nicht. Sie habe ihn mit den Worten »hier ist kein Platz für Schmarotzer« mit dem Besen davongejagt. Ich ahnte, daß die alte Frau auf mich und meine Sippe eine große Wut hatte. Wie gern hätte sie den Urenkel im safrangelben Jäckchen herumgezeigt!
    Henning hatte Spaß an meinem Vater, der sofort den Clown spielte, als er merkte, wie gut das ankam. Als Wein und Grappa auf dem Tisch standen, kam es zum unvermeidlichen Besäufnis. Auch Henning langte zu. Cora mußte am Hochzeitsabend ihren betrunkenen Mann mit Hilfe von Emilia ins Bett schaffen, meinen Vater ließen wir auf dem Teppich liegen.
    Wieder saßen wir in der Küche. Cora war erstaunlicherweise nicht verärgert, ich kochte. »Jetzt bin ich endlich hier, damit ich meine Ruhe habe, schon setzt er mir nach.«
    »Maja, du bist ihm durchaus ähnlich, ihr haut beide ab, wenn euch etwas nicht paßt.«
    »Selbst Goethe ist vor Frau von Stein nach Italien geflohen«, sagte ich trotzig. Ich dachte noch an eine andere Parallele: Vater und ich hatten beide einen Menschen auf dem Gewissen.
    »Morgen rede ich mit Henning«, sagte Cora, »er ist nicht so ein Lämmchen wie Jonas, er wird deinen Vater im Handumdrehen nach Deutschland befördern, vielleicht sogar mit Polizeigewalt.«
    Ich zweifelte daran. Mein Vater war eine Klette und würde mit Zähigkeit diesen Platz an der Sonne beanspruchen.
    Henning war ein sonderbarer Mensch, im Grunde verstanden wir ihn nicht. Er liebte Karl May und Babys - letztere erst, seit er Béla kannte -, er hatte eine Ehe mit einer langweiligen Frau hinter sich und wahrscheinlich auch jede Menge Seitensprünge. Einerseits hatte er einen harten Lebenskampf geführt und konnte von Ganoven und Erpressern erzählen, andererseits war er rührselig

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