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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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betreut...«
    Ich mochte Emilia nicht nur deswegen, sondern auch weil sie die Spinnen in meinem Zimmer einfing und im Garten wieder aussetzte. Häufig besuchte ich sie in ihrer Wohnung. Sie hatte eine Pinientruhe vom Dachboden geschleppt, den Deckel abgeschraubt und als Bett für Béla umfunktioniert. Inzwischen schlief er häufiger hier oben als in meinem Zimmer. Emilia pflegte sich früh zurückzuziehen und auf dem Bette liegend fernzusehen. Béla lag in der Truhe daneben und war zufrieden. Da ich meistens abends mit Cora und Henning essen ging, schaute ich oft spät bei Emilia herein, um mein Kind im Schlaf zu betrachten. Manchmal war ich fast eifersüchtig auf die selbsternannte Großmutter, die eine vollkommene Symbiose mit Béla eingegangen war. Sie sang für ihn: »Ma come balli bene bella bimba«, und er patschte bei »bella« auf den Tisch.
     
    Es wurde heiß, der toskanische Sommer begann. Henning sprach davon, mit Cora ans Meer zu fahren, ich war wahrscheinlich nicht eingeplant. Wir kauften einen Plastiksandkasten und füllten ihn mit Wasser. Béla konnte planschen, ich meine Füße kühlen. Coras Eltern kündigten ihren Besuch an; der Bruder wurde aus God's own country zurückerwartet, und man wollte gemeinsam in Colle di Val d'Elsa Urlaub machen - ob wir Lust hätten dabeizusein. Von der Heirat ihrer Tochter ahnten sie nichts. Cora lehnte ab und bat mich, es ihren Eltern schonend beizubringen.
    Inzwischen wußten wir, daß Henning ein Quartalsäufer war. Er hatte gestanden, unter gelegentlichen Anfällen von Trunksucht zu leiden; in seiner Jugend geschah das alle drei Monate, jetzt in unregelmäßigen Abständen.
    »Weißt du«, sagte sie, »er hat mich hereingelegt. Dafür ist aber schon passiert, was du prophezeit hast.«
    »Was meinst du?«
    »Na ja, ein junger Mann...«
    »Hast du dich verliebt?«
    »Das nicht gerade. Nerv mich aber bitte nicht mit Moral! Ich habe Henning betrogen.«
    »Mit wem denn? Wir waren doch immer zusammen?«
    »Ruggero.«
    Ich kannte Ruggero nicht. Sie erklärte mir, daß es der Gehilfe des Glasers sei, siebzehn Jahre und bildschön. Leider seien die Atelierfenster fast fertig.
    Es herrschte ein trügerischer Frieden. Cora betrog ihren Mann, ich erwartete meinen Vater als Rekonvaleszenten zurück, vielleicht auch Jonas, der mich und seinen Barthel zurückholen wollte, und Henning tat mitunter so, als wäre Béla sein Sohn. Er ging mit uns in der Abendkühle spazieren, schob dabei die Kinderkarre und wollte Cora und mich an jeder Seite als schmückendes Beiwerk vorzeigen. Wir mußten uns schönmachen. Obgleich er freundlich zu mir war, konnte ich ihn immer weniger leiden. Ich wurde nervös und litt unter der Hitze. Es wurden keine Entscheidungen getroffen, wann man verreisen sollte, ob überhaupt und wer mit wem. Emilia schien in ihrer stickigen Mansarde am wenigsten von der Hitze beeinträchtigt zu sein. Eines Tages sang sie mir auf deutsch vor: >Die Gedanken sind frei.<
    »Woher kennst du dieses Lied?« fragte ich verwundert; inzwischen konnte ich mich ganz gut auf italienisch unterhalten.
    Emilia kramte ein altmodisches Liederbuch heraus und las mir daraus vor. Als sie noch jung war und bereits in diesem Haus arbeitete, hatte ein deutscher Archäologe hier zur Untermiete gewohnt, der ihr, von Heimweh geplagt, traurige Lieder beibrachte. Sie konnte alle Texte aus ihrem Buch. Wahrscheinlich hatte es sich um eine romantische Liebschaft gehandelt, aber ich wagte nicht, intime Fragen zu stellen. Jedenfalls verstand Emilia einige Brocken Deutsch, vielleicht mehr, als wir annahmen.
    »Na und?« sagte Cora. »Wir haben nichts vor ihr zu verbergen.«
    Seit mir Emilia von ihrem geheimen Liederschatz erzählt hatte, pflegte sie deutsche Zitate einzuflechten. Henning hörte das. »Warum mußt du ihr ausgerechnet so ein antiquiertes Deutsch beibringen?« herrschte er mich an. »Mir war es gerade recht, daß sie kein Wort versteht, wenn wir uns unterhalten. Falls du möchtest, daß Bélas erste Worte deutsch und nicht italienisch sind, dann mußt du dich gefälligst selbst um ihn kümmern.« Ich war beleidigt.
    Emilia hatte auch eine besondere Art, Geschenke zu machen. Henning bekam zum Geburtstag eine in die Jahre gekommene schwäbische Kaffeekanne mit der Inschrift: Wo man Kaffee trinkt, da fühl dich wohl, böse Menschen lieben Alkohol.
     
    An einem drückenden Augusttag beschlossen Cora und ich, am nächsten Morgen früh aufzustehen und nach Marina di Pisa ans Meer zu fahren.

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