Die Häupter meiner Lieben
und spielte den Wohltäter. Schon nach zwei Tagen hatte er einen Narren an meinem Vater gefressen; er kaufte ihm einen Anzug und nahm ihn mit in den feinen Golfklub. Coras Ermahnungen fruchteten nicht. Solange Vater und Henning unterwegs waren, konnten wir nicht klagen. Kaum waren sie aber zu Hause, wurde getrunken. Diese Seite Hennings, die im Baugewerbe nicht ungewöhnlich ist, war uns bisher verborgen geblieben. Cora fluchte. »Wenn ich etwas hasse, dann besoffene Männer.«
Sie summte vor sich hin. »Kennst du noch das traurige Hochzeitslied von Béla Bartók, das wir in der Schule gelernt haben?« Ich sang:
»Werd' mich verwandeln,
wohl in ein Rebhuhn,
flieg' dann zu Mutters Haus.
Flieg' in den Garten,
sitz' auf der Lilie,
singe und ruh' mich aus.
Hört mich die Mutter:
>Singt da ein Vöglein,
traurig und wunderbar?
Weg, weg, du Vöglein!
Weg, weg, du Rebhuhn!
Brichst mir die Lilie gar.<«
Cora improvisierte weiter:
»Mit einem Playboy,
alt und versoffen,
bin ich davongerannt.
Ach, liebe Mutter,
nun muß ich weinen,
ferne vom Heimatland.«
Wir beschlossen, die neue Männerfreundschaft zu untergraben. Es war nicht schwer, ein wenig zu hetzen. »Henning hat gesagt...« begannen wir und machten meinem Vater klar, daß sein Gastgeber ihn nicht ernst nehme. Bei Henning verfuhren wir ähnlich: Vater hielte ihn für einen abgewrackten, geilen Emporkömmling. Es machte uns direkt Spaß, aber leider wirkte es nicht sofort.
Die Sache spitzte sich erst zu, als Henning seiner jungen Frau im Suff klarmachte, daß er in genau neun Monaten einen Sohn erwarte. Cora ekelte sich vor seiner Fahne und kroch zu mir ins Eisenbett. Henning bummerte gegen meine verschlossene Tür und krakeelte. Emilia wurde schließlich wach, falls sie überhaupt geschlafen hatte, und führte ihren Herren unter begütigenden Worten zurück in sein Bett.
»Ich bin erst wenige Tage verheiratet, und schon mag ich ihn nicht mehr«, sagte Cora weinend.
»Vater muß weg, er ist an allem schuld. Früher hat Henning nur zwei Gläser Wein zum Essen getrunken. Wenn wir Vater los sind, wird alles wieder gut.«
Aber Cora ließ sich nicht trösten und meinte, Vater habe Hennings wahres Wesen ans Licht gebracht, und man müsse ihm dafür dankbar sein.
Unsere neue Taktik wurde, möglichst oft das Haus zu meiden. Wir besuchten mit Béla alle Freundinnen, die Cora in Florenz hatte. Wir saßen in den Boboli-Gärten, wir stöberten in Geschäften rund um die Via dei Calzaiuoli herum, wir starrten stundenlang vom Ponte alle Grazie in den Arno hinunter und gingen tatsächlich in die Uffizien. Aber irgendwann mußten wir nach Hause, und dort war mindestens einer betrunken.
Im allgemeinen wollte Vater nichts vom störenden Enkelkind wissen. Aber es kränkte mich fast noch mehr, wenn er in angetrunkenem Zustand vor dem Kinderbett stand und mit widerlicher Sentimentalität »duzi duzi deidei« sagte. Mein dummer Sohn krähte dann vor Vergnügen.
Im übrigen durfte man Henning nicht unterschätzen. Erstens hatte er vom Professor erfahren, daß Cora durchaus jeden Monat ihr Studiengeld erhielt, zweitens glaubte er nicht, daß mein Vater mich und Béla bedroht hatte, und drittens hatte er entdeckt, daß seine Frau weiterhin die Pille nahm. Damit sie sich nicht herausreden konnte, hatte er eine Woche lang die tägliche Einnahme anhand der fehlenden Tabletten kontrolliert. Wenn er etwas nicht leiden konnte, dann, daß man ihn für dumm verkaufte. Es gab Krach. Andererseits ging es ihm nicht »auf die Eier«, daß Cora hinter seinem Geld her war und er sie beim Stehlen kennengelernt hatte. In seiner Jugend, behauptete er, habe er auch mit allen Tricks gearbeitet, um reich zu werden.
Wenn Cora vor Henning die Treppe hinaufstieg, pflegte er sie in den Hintern zu kneifen. Cora kniff zurück. Manchmal vertat Henning sich und verwechselte Emilia oder mich mit seiner Frau. Dank meiner schnellen Reaktion geschah es bei mir kein zweites Mal.
An ihrem zwanzigsten Geburtstag versprach Cora, die Pille abzusetzen. Es gab noch andere Mittel, dachte sie. Sie versöhnten sich lautstark im Bett, was in diesem Haus nur Béla verborgen blieb. Am nächsten Tag war Henning sehr aufmerksam, brachte einen Strauß weiße Gartenrosen mit und trank in der folgenden Zeit nur Mineralwasser. Meinen Vater, mich und mein Kind nannte er »die Asylantenfamilie«, wobei mir der Spott nicht gefiel. Ich hatte das ungute Gefühl, daß meine Tage hier gezählt
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