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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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fortgesetzt werden.
    »Bevor du weiter an deinem Schinken malst«, sagte ich, »könntest du die Güte haben, den Brief deines Bruders zu lesen. Vielleicht ist dir aufgefallen, daß weder Friedrich noch Jonas zugegen ist.«
    »Kann mir denken, daß Friedrich sauer ist.«
    »Ob sauer oder nicht, sie haben meinen Vater nicht begraben!«
    »Und wo ist er jetzt?«
    »In irgendeinem Tiefkühlfach.«
    Cora lachte. »Dann hat es ja keine Eile, laß ihn ruhig noch ein paar Tage drin.«
    »Hat er sich je um mich gekümmert? Hätte er mir ein Begräbnis spendiert?«
    »Ich erinnere mich, daß er am Sarg deines Bruders auftauchte.«
    Wir vermieden es im allgemeinen, Carlo zu erwähnen. Ich sagte zornig: »Um was zu saufen zu kriegen, hätte er sicherlich auch an meiner Grube gestanden.«
    Ich mußte weinen. Von Cora hatte ich gelernt, kühl und schnoddrig über die Toten zu reden, aber es war eine Attitüde, die ihr gefallen sollte und mir weh tat.
    Cora las den Brief. »Das war vorauszusehen«, meinte sie, »vorläufig bist du sie beide los. Im übrigen bin ich jetzt dran!«
    Das war eine Warnung. »Ich weiß gar nicht, was du willst...« sagte ich.
    Aus dem Atelier hörte man es dauernd lachen. Ich war zu stolz, um hinzugehen. Emilia schüttelte mißbilligend den Kopf. Wir bekamen eine neue Heizung, Handwerker machten Dreck, und Emilia stritt sich mit ihnen herum.
    Wo sollte mein Vater begraben werden? Ich wußte es auch nicht. Jedenfalls wollte ich nicht, daß Cora viel Geld dafür ausgab. Beim Mittagessen sprach ich dieses Thema wieder an.
    »Okay«, sagte Cora, »nobel von dir, daß du mein Geld sparen willst. Ich sehe auch keinen Sinn in teuren Gräbern. Bei Henning mußte es sein, die Öffentlichkeit hat sich dafür interessiert. Ich schlage vor, daß wir die Urne deines Vaters einfach in Hennings Grand Lit beisetzen, ganz anonym. Mörder und Opfer im Doppelbett.«
    Sie hatte deutsch gesprochen, aber Emilia hatte bei dem Wort »Mörder« anzüglich gelacht, seltsamerweise auch Don. Ich fand Coras Idee ausgezeichnet und beschloß, mich in den nächsten Tagen darum zu kümmern.
    Cora waren die Farben ausgegangen, sie fuhr unverzüglich in die Stadt. Ich war mit Don allein.

Inkarnat
     
     
    Diesem verdammten Don ist es immerhin zu verdanken, daß ich heute Königin in meinem Bus bin (die Prinzessin ist erwachsen geworden) und zwanzig Untertanen beherrsche. Nach den Unstimmigkeiten mit Cora, die erstmals durch Dons doppeltes Spiel auftraten, faßte ich den Entschluß, wenigstens von meiner materiellen Abhängigkeit loszukommen.
    Solche Typen wie Don sitzen selten im Bus, weil sie organisierten Tourismus verabscheuen und lieber mit ihren Flaschen, Gitarren und Säcken vor irgendeinem Brunnen auf dem Pflaster herumliegen. Verirrt sich aber doch einer in meinen klimatisierten Bus, dann brauche ich ihn gar nicht erst anzulächeln. Mein properes Kostüm versperrt mir den Zugang; es soll meiner üblichen Kundschaft gefallen, und das klappt ja auch. Es wäre kein Problem, einen deutschen Beamten im gehobenen Dienst an Land zu ziehen, aber das ist wiederum nicht meine Kragenweite. An solchen Herren interessiert mich höchstens die Brieftasche.
    Einmal bin ich mit so einem feinen Pinkel ausgegangen. Er wollte in einem »typischen« Lokal einen Espresso trinken. Ich lotste ihn in eine Bar. Wie auf Pferden saßen wir auf unglaublich häßlichen Barhockern aus Plastik und Chrom und hakten wie unsere Nachbarn die Absätze in das schirmständerartige Gestell. Neben uns spielte man auf Billardtischen eine Art Boccia; im Nachbarzimmer befand sich ein Spielsalon, wo es noch lauter zuging. >vietato ai minori di 18 anni< schien viele Jugendliche anzulocken, die an der Wand in Nischen aus billigem Furnier lehnten und tranken. Ungeniert warf man Abfälle auf den Boden aus Marmorimitation. Hin und wieder kam ein Mädchen herein und kaufte Eis. Der Wirt, klein, fett und von verschmitzter Freundlichkeit, zeigte uns in seiner Zeitung >Sportsman< die deutschen Fußballergebnisse.
    Hier fühle ich mich wohl, meinem Begleiter verging dagegen der Appetit auf mich und seinen Kaffee. Die Touristen haben eben einen anderen Geschmack als ich. Im Baptisterium begeistert mich der Fußboden, den sie meistens nicht beachten. Und in den herrlichen Juninächten sitzen sie und saufen Chianti, während sich, unbemerkt von den Banausen, in feuchten Gärten - auch in unserem - der heiterste Sommernachtstraum abspielt. Tausende von Glühwürmchen tanzen ein

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