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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Cora, »wenn man mich damals für schwanger hielt - an Hennings Todestag -, dann müßte ich jetzt einen dicken Bauch oder allenfalls einen Säugling haben, aber noch kein Kind, das laufen und sprechen kann.«
    Ich war geschmeichelt, denn diese Fertigkeiten waren bei Béla nicht sehr ausgeprägt. »Wieso aber Tochter?« fragte ich.
    »Weil sie blöd sind, ich sagte es doch; wahrscheinlich halten sie >Béla< für einen Mädchennamen.« Wir lachten und maßen der Angelegenheit keinerlei Bedeutung bei.
    Nach ein paar gemütlichen Urlaubstagen rief ich Emilia an. Alles in Butter, sagte sie, Mario habe trotz einsetzender Kälte so fleißig gearbeitet, daß die Pflastersteine schon morgen fertig verlegt seien.
    »Und wie versteht ihr euch?« fragte ich.
    »Prächtig«, sie machte eine Pause, »bitte, Maja, ich habe einen Wunsch. Ohne euch, vor allem ohne Béla, ist es langweilig. Wir würden euch gern besuchen, auf eigene Kosten, versteht sich. Wir wollen mit dem Auto durch ganz Italien fahren; meinst du, daß Cora es erlaubt?«
    Ich versprach, mich für dieses Projekt stark zu machen.
    »Ich hätte dann meinen Cadillac hier«, sagte Cora, »das wäre nicht unpraktisch. Ich möchte gern die Katakomben in Palermo besuchen. Sollen sie kommen!«
    Am Tag, als wir das unternehmungslustige Paar erwarteten, machten wir einen nachweihnachtlichen Einkaufsbummel. In allen Hauseingängen standen Spanschachteln mit Weihnachtssternen. Den Heiligen Abend hatten wir ohne Sentimentalitäten in der Hotelhalle verbracht, in der eine große Krippe aufgebaut war. Nun beschlossen wir, uns ohne Hektik durch ein paar selbstgekaufte Geschenke zu erfreuen. Wir erstanden folkloristische Seidentücher, Ketten aus geschliffenem Lavastein, bunte Marzipanfrüchte und silberne Herzen und Füße, die ehemals als Votivbilder gedient hatten.
    Mit Päckchen beladen saßen wir schließlich im Cafe Wunderbar und wärmten uns mit heißer Schokolade auf, auch Béla durfte mithalten. Cora schleckte von allen drei Bechern die eklige Haut ab. Hinterher leisteten wir uns noch einen eisigen Tartufo. Nach der großen Schlemmerei verließ ich Kind und Cora und suchte die Toilette auf.
    Fünf Minuten später trat ich wieder an unseren Marmortisch, wo nur Bélas leere Karre stand. Suchend sah ich mich um. Cora zahlte an der Theke und schwatzte mit der Kassiererin. »Wo ist mein Kind, wo ist mein Reh?« fragte ich.
    Cora drehte sich um. »In seinem Wagen«, sagte sie, sah aber sofort, daß der Baby-Buggy leer war.
    Bis zu diesem Tage konnte Béla nicht allein aussteigen. Wir blickten - nicht sonderlich beunruhigt - in die Runde; irgendeine sizilianische Mamma hatte den Kleinen sicherlich auf dem Schoß und fütterte ihn mit Panforte.
    »Sieh mal«, sagte Cora und nahm einen Brief von ihrem Teller.
    In diesem Moment setzte mir beinahe der Herzschlag aus. Ich fiel auf einen Stuhl, Cora fetzte den Umschlag auf, und wir lasen gemeinsam:
     
    Signora Kornmeier, wir haben Ihre Tochter in unserer Gewalt. Wenn Sie sie lebend wiederhaben wollen, schalten Sie unter keinen Umständen die Polizei ein. Sie werden beobachtet! Begeben Sie sich mit Ihrer Begleiterin unauffällig in Ihr Hotelzimmer und warten Sie dort auf weitere Nachricht.
     
    Cora hielt meine Hand. Sie fühlte sich schuldig, weil sie Béla eine Minute allein gelassen hatte, was ich in einem gut besuchten Cafe ebenso getan hätte. Sie wandte sich an zwei ältere Frauen, die am Tisch neben uns saßen. In möglichst ruhigem Ton sagte sie: »Haben Sie gesehen, wer das Kind aus dem Wagen gehoben hat?«
    »Natürlich, Signora, Sie können unbesorgt sein, es war der Onkel des Kleinen. Ich denke, er wartet draußen.«
    Trotz des Briefes dachte ich sekundenlang, Emilia und Mario wären gekommen und hätten Béla auf den Arm genommen. Ich warf Cora einen warnenden Blick zu: die Frauen sollten keinen Verdacht schöpfen und am Ende die Polizei benachrichtigen.
    »Alles bestens«, sagte sie, und wir brachen eilig auf. Schon auf der Straße, mit dem leeren Kinderwägelchen an der Hand, war es mit meiner Fassung vorbei; zwar konnte ich weder sprechen noch weinen, aber kalter Schweiß trat mir auf die Stirn, und mein Herz raste.
    Cora winkte ein Taxi heran, und wir fuhren schweigend das kleine Stück bis zu unserem Hotel. Erst als wir in unserem Zimmer waren, begann Cora zu reden: »Sie halten Béla für das Kind einer Millionärin und werden versuchen, ein happiges Lösegeld zu erpressen. Dieses Mißverständnis läßt sich sicher

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