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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Dante, ich weiß jetzt, was das Inferno bedeutet, wissen Sie es auch? Ich werde verrückt bei dem Gedanken, daß mein Sohn zum ersten Mal in seinem Leben von mir getrennt ist und Schaden an seiner Seele erleidet!«
    »Nein, nein, so dürfen Sie nicht reden«, sagte Dante, »dem Kleinen geschieht nichts, darauf können Sie sich verlassen ! Sobald Ihre Freundin bezahlt, haben Sie ihn wieder - Ehrenwort! Und nun sprechen Sie mit ihr, ich rufe in einer Stunde wieder an.«
    Irgendwie war ich erleichtert. Dante war kein Unmensch und schon gar kein professioneller Kidnapper oder Killer; er schien ein junger, vielleicht sogar sehr junger Mann zu sein, der durch das Foto in der Zeitung auf dumme Gedanken gekommen war. Ob die Polizei nicht doch helfen konnte? Aber wenn der empfindsame Dante beim Anblick der Polizisten durchdrehte, sich mitsamt meinem Kind in die Luft sprengte oder ähnlich Entsetzliches tat?
    Cora rechnete. Sie hatte alle ihre Schecks - einen viel zu großen Haufen, welch ein Leichtsinn! - auf ihrem Bett ausgebreitet und zählte. »Wir werden ihnen diese Summe anbieten, oder sagen wir einmal, ein klein bißchen weniger. Wenn sie anbeißen, ist alles okay. Sonst muß ich nach Florenz fliegen und versuchen, Geld locker zu machen.«
    »Cora«, sagte ich, »mein ganzes Leben lang will ich arbeiten, um diese Schulden bei dir abzutragen. Aber zahl bitte, tu es für mich, tu es für Béla!«
    »Ja doch, ich habe es vor! Aber mehr als nötig braucht man Dante auch wieder nicht hinzublättern. Im übrigen kriegen wir beide schon neue Knete rein, das soll nicht unser Problem sein.«
    Plötzlich mußte ich an meine Mutter denken. Mit fünf Jahren war ich beim Ausverkauf in einem überfüllten Kaufhaus verlorengegangen. Ich weinte nicht und hatte auch keine Angst, weil mich ein Junge in die Tierabteilung mitnahm und ich an seiner Hand Welpen, Papageien und Junghasen bestaunte. In meiner Erinnerung erlebte ich bereits damals das erhebende Gefühl, meine Ketten abgeworfen zu haben. Als ich endlich durch verschiedene Lautsprecherdurchsagen (die ich nie verstand) gefunden, aufgegriffen und zu meiner Mutter geführt wurde, war sie vollkommen verstört. Nie vergesse ich die unendliche Erleichterung auf ihrem Gesicht, als sie mich sah. Dann kam allerdings das Donnerwetter.
     
    Mario kam mit Pippo an der Leine herein, ziemlich erregt. Leider konnte er in diesem Zustand noch nicht einmal stottern. Emilia hielt ihm das Täfelchen. Parkplatz, Mann in Auto mit Fernglas, schrieb er.
    »Das muß Dantes Bruder sein«, meinte Cora, »ist er jung und stark, sieht er gefährlich aus?«
    Mario stotterte: »Ganz jung!« Dann schrieb er, weil es schneller ging: Wenn ich noch einen Mann zur Hilfe hätte, könnten wir ihn schnappen!
    Emilia geriet in Begeisterung: »Ich bin besser als jeder Mann! Und wenn Dante anruft, sagen wir freundlich: Rate mal, wen wir hier haben!«
    Cora lachte kurz, aber schon kamen ihr Bedenken. »Und wenn er ein Schießeisen hat? Und was wird man auf der Straße denken, wenn wir einen fremden Mann aus seinem Auto zerren und fesseln? Man wird die Polizei holen! Außerdem - wer sagt, daß es Dantes Bruder ist? Es könnte ein harmloser Spanner sein oder ein Privatdetektiv, der ganz was anderes beobachtet.«
    Mario schrieb: Nein!
    Emilia sah ihn fragend an. »Woher weißt du, daß er uns beobachtet?«
    Mario deutete auf unser Fenster.
    Ich wollte aufspringen und hinausschauen, aber Emilia hielt mich am Ärmel fest. »Bist du verrückt! Wenn wir eine Chance haben, darf er nicht merken, daß Mario ihn gesehen hat.«
    In diesem Augenblick klingelte wieder das Telefon. Ob die Hotelangestellten nicht Verdacht schöpften und mithörten, wenn ständig ein Signor Dante bei uns anrief? Er mußte ziemlich leichtsinnig oder unerfahren sein, daß er ein solches Wagnis einging. Cora machte nun ihr Angebot, und Dante bat wiederum um Bedenkzeit. Anscheinend konnte er nichts allein entscheiden.
    Emilia zog die Pantoffeln aus und Schuhe an. »Ich gehe jetzt nach unten in die Halle, schließlich haben Mario und ich noch keine Schlüssel für unsere Zimmer. Wir sind gleich zu euch hinaufgelaufen, weil wir eure Zimmernummer kannten.«
    Ich sah ihr an, daß sie andere Pläne hatte und sich wahrscheinlich die Gestalt im Auto ansehen wollte, doch ich hatte Vertrauen.
    Dante rief an, noch bevor Emilia zurück war. »Signora«, sagte er zu Cora, »wir haben Ihre Angaben überprüft. Sie haben zwar recht mit der Behauptung, daß es nicht Ihr

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