Die Haischwimmerin
sich, daà Fontenelle mit einiger Grandezza ihre Zigarette zu rauchen verstand, aber ohne Verachtung für die, die nicht imstande waren, mit solcher Noblesse Nikotin zu inhalieren, oder gar ohne die Fähigkeit des Rauchens auskommen muÃten.
Lilli rauchte nicht. Sie rieb sich ihre geröteten Handgelenke und wollte nun endlich wissen, was das für Bäume waren, auf die sie da hinübersah.
»Larix gmelinii, die heimische Dahurische Lärche. Allerdings eine sehr spezielle Ausprägung, wie man überdeutlich sehen kann. â Kommen Sie mit, machen wir einen Spaziergang.«
Man hätte die Szene vielleicht betiteln können mit Frauen mit hohen Absätzen gehen in den Wald . Und in der Tat wäre es für den unbedarften männlichen Beobachter erstaunlich gewesen, zu sehen, wie diese beiden Damen, die ältere wie die jüngere, mit ihren High-Heels sich zunächst über eine Wiese und sodann auf einem von Wurzeln, Moosen und einer gewissen Unebenheit bestimmten schmalen Pfad dahinbewegten. Die Eleganz und absolute Sicherheit, mit der sie dies taten, gemahnte an die Theorie, daà ursprünglich alle Menschen auf hohen Absätzen unterwegs gewesen waren und erst später eine Degeneration des Bewegungsapparates und der Bewegungsarten einen Teil der Menschheit und vor allem das männliche Geschlecht von dieser Schuhform abgebracht hatte. So gesehen stellten High-Heels einen Atavismus dar, den Verweis auf eine Zeit, als auch Männer es noch verstanden hatten, sich fortzubewegen, als auch Männer â ohne gleich wie Tunten daherzukommen â in der Lage gewesen waren, im Gehen die Luft zur Seite zu schieben, während sie heutzutage durch die Luft hindurchbrachen wie durch sehr dünne Sperrholzplatten. Die aktuelle Bewegungsform des Mannes war die des billigen Actionfilms, des B-Movies.
Die aktuelle Situation dieser Geschichte wiederum schien die des Märchens zu sein. Angesichts zweier Damen, die einen purpurfarbenen Wald betraten, der im milden Sommerlicht lag, das flockengleich durchs Geäst drang. â Richtig, das Märchen war an dieser Stelle eine sinnvolle Verbindung von Natur und Technik. Einerseits dank der aufwendigen Anlage aus Spiegelwerfern und Lichtschächten, die das Sonnenlicht nach unten transportierten und es gleichmäÃig über die Landschaft verteilten, jede Ecke, jeden Winkel beliefernd. Andererseits aufgrund des Regenwassers, das sich als feiner Dampf herabsenkte, gleichfalls in einer sozialen Weise, niemanden auslassend. Die Bäume freilich waren weder Resultat einer künstlerischen Aktion noch eines von Menschenhand entwickelten Zuchtverfahrens. Denn wie Madame Fontenelle jetzt erklärte, war diese Anlage in Sowjetzeiten geschaffen worden, um eine gezielte agrarische Produktion betreiben zu können, eine Produktion, die aber nie erfolgt war, während dagegen Samen der unter harten Bedingungen an der Oberfläche lebenden Lärchenart an diesen Ort gelangt waren, sich entwickelt und eine natürliche Mutation hervorgebracht hatten.
»Zu welchem Zweck?« fragte Lilli.
»Ich bin mir bei der Natur so unsicher wie beim lieben Gott«, sagte die Französin, »ob da alles einen Zweck haben muÃ. Vielleicht macht die Schöpfung einfach Freude. Nach dem Motto, wenn etwas grün sein kann, warum es nicht auch mal rot sein lassen. Wenn etwas häÃlich ist, warum es nicht hübsch machen, und umgekehrt. Den Nutzen einer Sache zu erkennen ist möglicherweise nur ein intellektueller Nachtrag. Wie bei diesen Bäumen, deren Rinde vielleicht nur darum purpurn ist, weil es mal an der Zeit war, sie purpurn sein zu lassen. Der intellektuelle Nachtrag wäre nun, daà die jungen Zapfen etwas erzeugen, eine Ausscheidung, welche FreÃfeinde und Schädlinge fernhält. Ein übelriechendes, zähes Wässerchen, das den ganzen Baum mit einer geruchlichen Schutzschicht umgibt.«
»Ich rieche nichts.«
»Sie sind auch kein Schädling, liebe Frau â¦Â«
»Steinbeck. Lilli Steinbeck.«
»Zumindest würde ich mir wünschen, Frau Steinbeck, daà Sie keiner sind.«
»Wovon hängt das ab?« fragte Lilli.
»Davon, inwieweit Sie das Schützenswerte dieses Waldes erkennen«, erklärte Madame Fontenelle und tauchte gleichsam als Symbol für das Gesagte ihre Zigarettenkippe in einen mitgebrachten kleinen Taschenaschenbecher. Dann fuhr sie fort:
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